Den Liedtext schrieben Folterer

INTERNETSTAR Der 26-jährige Jonathan Mann schreibt jeden Tag einen Song und stellt ihn auf YouTube

Guantánamo-Auflösung gut, Wirtschaftspolitik schlecht

VON BERND PICKERT

Jonathan Mann ist 26, Musiker, Videokünstler und ein Internetstar. Von seiner Wohnung in Berkeley, Kalifornien aus stellt er seit Januar jeden Tag ein eigenes Musikvideo auf seine Website www.rockcookiebottom.com. Zunächst war das sein Beitrag zum Kunstprojekt Fun-a-Day, bei dem den ganzen Januar über alle möglichen Künstler täglich ein Kunstwerk produzierten. Nachzuschlagen auf: www.artclash.com. Dann war der Januar vorbei und Jonathan Mann machte weiter. An diesem Samstag wird sein 123. Song online gehen. Wenn er es schafft, bis zu seinem 85. Lebensjahr durchzuhalten, werden es über 22.000 Lieder sein, hat er ausgerechnet.

Seit Lied Nummer 77 ist Jonathan Mann in den USA berühmt. Mitten in den Streit zwischen New-York-Times-Kolumnist Paul Krugman und Obamas Finanzminister Timothy Geitner über das richtige Management der Finanzkrise sang Mann: „Hey Paul Krugman, warum bist du nicht in der Regierung?“ Von Geitner käme doch nur Blabla und außerdem sei der doch selbst einer von denen, die die Krise zu verantworten hätten. Das entsprach ziemlich genau der Gemütslage des linken Teils der US-Demokraten. So dauerte es nur Tage, bis Mann in Radio- und Fernsehshows war und Nobelpreisträger Krugman auf ABC erklärte, seine Frau fände den Song gut, er aber habe nicht vor, in die Regierung zu gehen.

Knapp 200.000-mal wurde das Video inzwischen auf YouTube angesehen, und seither finden auch Jonathan Manns andere Songs mehr Beachtung. In Lied 84 offenbart er seine „Obama-Neurose“ – er komme nicht klar mit dem Präsidenten. Guantánamo-Auflösung gut, Wirtschaftspolitik schlecht, Wissenschaftspolitik gut, Straffreiheit für Verbrechen der Bush-Regierung schlecht – und das singt er mal in smart-grünes oder aggressiv-rotes Licht getaucht, mal im sanften Reggae oder verzerrtem Rock. Die US-Linken sehen’s genauso.

Für Lied Nummer 109, gepostet am 19. April unter dem Titel „Waterboarding“, übernimmt Mann schlicht den Text aus einem wenige Tage zuvor veröffentlichten Foltermemorandum, mischt ihn mit einem jener Grooves, die Mann mit Gitarre und Computer stets unter seine Songs legt, und heraus kommt ein Dokument, das den Wahnsinn der Folter eindrucksvoller anklagt als mancher Bericht von Amnesty International. Über 50.000 Menschen haben den Spot bislang gesehen.

In seinem Song vom Dienstag dieser Woche klagt Mann die Medien an, mit der Schweinegrippe Panik zu verbreiten, ohne dass ihm bislang irgendjemand habe klarmachen können, was der Unterschied zur normalen Grippe sei, an der jedes Jahr zehntausende Menschen weltweit sterben.

Jonathan Mann versteht sich nicht wirklich als Teil einer Bewegung. Er ist Musiker, nicht Aktivist. Aufgewachsen in einem linken Elternhaus im liberalen Bundesstaat Vermont. Musik und Aufnahmetechnik hat er am College in Vermont gelernt und in Los Angeles studiert. Aber seine Songs, die er seit seinem 12. Lebensjahr schreibt, waren größtenteils inspiriert von den Handlungssträngen gängiger Computerspiele – Mann war ein Dauerdaddler. Erst in letzter Zeit hat er sich an politische Inhalte gewagt: „Ein bisschen finde ich zurück zu meiner Zeit als idealistischer Jugendlicher von 16, 17 Jahren“, sagt er im Interview mit dem Politmagazin Mother Jones, „nur reifer, hoffe ich. Na ja, nicht zu reif.“