Das Recht, Großmutter zu werden

HOMOPHOBIE Mit einer neuen App aus Frankreich können Eltern testen, ob ihr Sohn homosexuell ist. Schwulenverbände sind alarmiert, aber gesetzlich ist wenig zu machen

Nein, es gibt nicht Mann und Frau in homosexuellen Beziehungen

VON FELIX KARTTE

Woher wissen Sie eigentlich, dass mit Ihrem Sohn alles in Ordnung ist? Was treibt der Kleine denn immer so lange im Badezimmer und haben Sie nicht kürzlich erst Ihren Lippenstift vermisst? Was ist seine Lieblingsfarbe? Und was denken die Nachbarn?

Ganz ruhig! Denn mit der französischen Smartphone-App „mon fils est-il gay?“ (dt: „ist mein Sohn schwul?“) können Sie alle Zweifel ausräumen. Alle Zweifel, immerhin, über das Fortbestehen der kognitiven Schubladen, in die junge Schwule immer noch gepresst werden.

Nein, ich gehe nicht in Darkrooms. Nein, es gibt nicht Mann und Frau in homosexuellen Beziehungen. Nein, ich möchte dich nicht beim Shoppen beraten. Statt ständig erklären zu müssen, was sie nicht sind, sollten junge Schwule sich selbst fragen dürfen, was sie sein wollen.

Die unliebsame App für 1,99 Euro reproduziert die gängigen Klischees in unverhohlener Stumpfheit. Zwanzig Fragen mit dem wissenschaftlichen Gehalt einer Eva-Hermann-Abhandlung. Zwei mögliche Resultate, die aller Graustufen entbehren. Ist ihr Sohn ein ungewaschener, sportbegeisterter Raufbold: Herzlichen Glückwunsch, „Sie haben weiter die Chance, Großmutter zu werden, mit allen Freuden, die das mit sich bringt!“ Sollte der Sprössling aber Schlägereien meiden, Musicals mögen oder gar ein Piercing tragen: leider verloren. „Unnötig, sich etwas vorzumachen, er ist schwul“, müssen die bestürzten Eltern in der Testauswertung erfahren.

Die Entwickler erklärten unterdessen, man halte die App für legitim, da „eine Mutter das Recht habe, zu erfahren, ob ihr Sohn schwul ist“. Die Herangehensweise sei jedoch „eher spielerisch“ und „nicht wissenschaftlich“. Bei Interessengruppen jedenfalls fällt das Lachen verhalten aus. In Stellungnahmen bezeichnen sie das Programm als erniedrigend und grob vereinfachend. Der Schwulen-Verband Dialogai bedauert auf seiner Website, „im Jahr 2011 noch erklären zu müssen, dass es auch Schwule gibt, die Fußball mögen oder Kinder zeugen“.

Indes floriert der Markt für Smartphone-Apps: Laut einer aktuellen Studie werden Nutzer dieses Jahr weltweit für 6,2 Milliarden Dollar Apps downloaden. Viele der mehr als 425.000 momentan erhältlichen Anwendungen bieten Lebenshilfe mit dem Lernwert eines Anrufs im 9Live-Astro-TV. Dabei gelangen immer wieder auch diskriminierende und entwürdigende Programme in die virtuellen Store-Regale. So nahm Apple im März eine „Läuterungs-App“ aus dem Angebot, die Schwule mit biblischen Lehren aus der Lasterhaftigkeit befreien wollte. Erst vor zwei Wochen zwangen lautstarke Proteste den Konzern, eine Anwendung zu löschen, die es dem User erlaubte, sein Umfeld in Juden und Nichtjuden zu unterteilen. In Frankreich jedoch verstieß das nicht nur gegen den guten Geschmack, sondern auch gegen geltende Antirassismusgesetze.

Immerhin prophezeien Experten der App eine geringe Lebensspanne. Anders als bei der Juden-Detektor-App ist es aber schwierig, „ist mein Sohn schwul?“ auf dem Rechtsweg den Stecker zu ziehen, so Stéphane Corbin, Frankreich-Sprecher des LGBT-Verbands (Lesbian Gay Bisexual Transgender) im Gespräch mit France Soir. Eine Klage wäre aussichtslos, nur eine neue Welle der Empörung kann die Inquisitions-App aus dem Android-Markt spülen. Laut Google France steht sie bereits auf dem Prüfstand.