Good Morning, Kotzen!

NAMEN In Brandenburg gibt es Orte wie Ziegenhals und Busendorf. Ohnewitz! So heißt auch einer. Einheimische können das erklären. Eine Durchreise

VON DANIEL KASTNER

Busendorf.

Am Vereinshaus des SV 71 Busendorf hängt das Dorfwappen: Drei Stangen Spargel – dicke Phallussymbole. Ja, rufen sie herunter, die Idee einer Reise in Brandenburgs komischste Orte ist pubertär.

Kurz vor der Busendorfer Ortsausfahrt steht eine Frau, neben sich Schalen mit Tomaten von der Gärtnerei gegenüber und Bohnen von ihrer Kusine aus Dahmsdorf. Die Geschäfte laufen nicht gut, seit sie die Straße erneuert haben, „da konnte man hier nicht mehr so jut parken, und dann sind se weggeblieben.“ Warum Busendorf so heißt? „Keene Ahnung, und ick wohn schon mein janzet Leben hier.“

Am anderen Dorfende fegt eine andere Frau ihre Einfahrt. „Wenn Sie wüssten, wie oft det Schild fotografiert wird. Da stellen sich die jungen Mädchen im BH davor.“ Es gebe übrigens noch ein Busendorf, in Westdeutschland, „da sind wa ma durchjefahrn, gleich nach der Wende.“

Kotzen.

Auch das Wetter ist zum Kotzen. Der Schrottplatz des Dorfes sieht aus wie die traurige Parodie eines Ortskerns. Vor Frau Krauses Haus steht der Metzgereiwagen, wie jeden Dienstag. Regen prasselt auf das Vordach, Neonlicht scheint auf den Aufschnitt. „Ich hätt gern noch eine Portion Griebenschmalz“, sagt Frau Krause, ihre Krücke hat sie vor sich auf die Ablage gelegt. „Nehmen Sie ruhig das Kleingeld, die Pfennje machen nur’s Portemonnaie voll.“ Warum Kotzen so heißt? Ist doch kein schöner Name. „Wieso ist das kein schöner Name?“, fragt sie, die Dritten grinsen. Das Ortsschild werde dauernd gestohlen, manchmal sogar abgesägt. „Das sollte schon oft umbenannt werden, das stand sogar mal beim Grass“, sagt sie. „Aber haben se nie gemacht in all der Zeit, die ich hier wohne, in den ganzen 88 Jahren.“ Dann humpelt sie ins Haus.

Wassersuppe.

Egal wie absurd ein Ortsname klingt – das gelbe Schild ist quasi der staatliche Stempel, das offizielle Siegel: Ja, den Ort gibt es nicht nur auf der Karte, sondern in echt. Auch Wassersuppe. Das Dorf liegt in einer Kurve. Eine alte Kirche und natürlich eine freiwillige Feuerwehr. Der örtliche Kanuverleiher liefert endlich eine Erklärung – leider eine unspektakuläre: auf ein slawisches Wort gehe der Name zurück, von frühen Siedlern, schon damals habe er was mit Wasser zu tun gehabt.

Gibt es wenigstens eine Spezialität hier? Vielleicht … Wassersuppe? „Die Wassersupper Kartoffeln, die sind ja berühmt.“

Ohnewitz.

Ohnewitz ist Ohneschild. Das fand wohl noch jemand witzig und hat das Ortseingangsschild einfach abgeschraubt. Wie der das unbemerkt gemacht hat, bleibt sein Geheimnis, denn das Schild steht direkt bei Schusters vor der Tür, und deren dicker Hund bellt auch Leute an, die bloß ein Schild fotografieren wollen, das es nicht mal mehr gibt.

Verlorenort.

Eine Straße führt in den Wald, auf dem Schild nach Verlorenort wächst Moos. Aus einem Rohbau kreischt eine Kreissäge.

Pachals wohnen in einem orange gestrichenen Flachbau mit Veranda, Pergola und Teich. Auch hier bellt ein Riesenhund, Frau Pachal kommt lieber mal raus und macht das Gartentor zu. Das Haus, „das ist ’ne alte Offiziersbaracke, vom Adolf noch. Die hat mein Opa hierhergebracht und daraus unser Wohnhaus gemacht.“ Und da wohnt sie jetzt, seit sie Kind ist.

Zu Verlorenort gibt es eine richtige Legende. Der Alte Fritz, so nennen sie hier in Preußen Friedrich den Großen, sei hier mit seinen Truppen durchgezogen, und dabei sei seiner Kutsche die Achse gebrochen. Seinen Leuten habe es hier so gut gefallen, dass sie gleich dablieben. Die hat der Alte Fritz hier also verloren.

Acht Einwohner hat Verlorenort heute. „Die kleinste Gaststätte Deutschlands“ habe es hier gegeben, „16 Quadratmeter, vier Tische drinne.“ Heute kommen manchmal Jäger ins Dorf, „die gehen direkt mit der Waffe in den Wald“, sagt Frau Pachal und verschwindet mit einer Schubkarre voll Baumschnitt im Unterholz.

Ziegenhals.

Wieder regnet es. Über die Hauptstraße donnert alle paar Sekunden ein Lkw, Schilder an Gartenzäunen protestieren gegen Flugrouten.

In Rita Suppkes Blumenladen hebt der Schäferhund nicht mal den Kopf, wenn jemand eintritt. Frau Suppke verkauft auch Tomaten, märkischen Senf, Babystrickjacken. „Als sie die Kaufhalle zugemacht haben, hat mein Mann gesagt, Mensch, wir müssen doch wenigstens Zeitungen haben für die alten Leute, die nicht mehr so können.“ Sie sind aus Berlin hergezogen, die Bedeutung des Ortsnamens kennen sie nicht, und alte Ziegenhalser gebe es kaum noch. Ein Rentner kommt herein, er und Frau Suppke tauschen routiniert zwei Zeitungen gegen zwei Euro. „Tschüss!“ – „Tschüss!“

Stäbchen.

Die Dörfer hier sehen aus wie amerikanische Vorstädte: Rasen auf den Auffahrten, gestutzte Hecken, Mülltonnen in Reihe. Stäbchen versteckt sich im Wald. Jemand hat den Namen mit Kreide auf ein Schild geschrieben.

Am Ende der Straße laden Golls ihre Einkäufe in eine Schubkarre. Vor ihrem umgebauten Bauernhaus stehen wuchtige Terrakottatöpfe mit Aloe Vera und Zitronenbäumen. „Der Alte Fritz soll hier biwakiert haben und dabei seinen Feldherrenstab verloren haben“, antwortet Herr Goll mit sachtem Sächseln auf die Frage nach dem Ortsnamen. Wo der Preußenkönig nicht überall war.

Von der Veranda aus kann man einen alten Spreearm sehen. „Ich komme aus Berlin“, sagt Frau Goll, „wir haben da auch eine Wohnung.“ Immer nur Idylle hält ein Städter wohl nicht aus.

Philadelphia.

Philadelphia habe mal Hammelstall geheißen und gehe auf eine Maßnahme Friedrichs des Großen zurück, Auswanderer vom Auswandern abzuhalten. „ ‚Ich brauche euch hier‘, hat er zu denen gesagt“, erzählt eine alte Frau, die gerade vom Badeteich zurück zum Haus wackelt. „Also hat er ihnen hier Land gegeben.“ Die Parzellen erkennt man heute noch – rechts der Straße stehen die Häuser, links überdimensionierte Schrebergärten, wo Sonnenblumen und Mais wachsen.

Den Namen hätten die Einwohner selbst bestimmen dürfen, und so sei der Ort nach ihrem ursprünglichen Ziel benannt worden. Torf, Kalk und Kies bauten sie hier ab, die alten Gruben sind heute Teiche. Vierzig Jahre lang lag Philadelphia in der DDR. Das alte Gut Ascher, das hier schon vor Philadelphia stand, wollten neulich die Scheichs aus Dubai kaufen, „aber die haben es sich dann noch mal überlegt“. Vielleicht meinten die das andere Philadelphia?

Regenmantel.

Ein gutes Dutzend Häuser döst an der Straße, ein Hahn kräht, ein Pferd wälzt sich auf dem Rücken. An der Haltestelle hält viermal am Tag ein Bus, der Briefkasten daneben wird montags bis samstags um 8 Uhr 30 geleert. Staatliche Daseinsfürsorge.

Der Bauer am Ortsausgang hat keine Ahnung, warum sein Dorf so heißt. „Fragen Sie mal den da im ersten Haus“, brüllt er über den Motorenlärm seines Treckers.

Dort baumeln Fliegenvorhänge an den Türen, irgendwas gluckert von drinnen. Herr Schinkel kommt langsamen Schrittes heraus, ein imposanter Bauch wölbt sich über seine Hosen. „Wat suchen Sie? Orte mit kuriosen Namen?“ Er wirkt peinlich berührt. „Was hat man Ihnen denn sonst so erzählt?“ Na ja, Friedrich der Große? „Der Sage nach ist der Alte Fritz hier durchmarschiert?“ Und jetzt sagen Sie bloß noch, der hat hier seinen Regenmantel vergessen! „Doch, da hinten auf dem Hügel, an der Pappel, da hat er dran gehangen.“ Der Alte Fritz war offensichtlich ein sehr zerstreuter König. Was sagt das über Preußens Gloria?

„Von der Pappel sehen Sie jetzt nur noch den Stumpf. Die ist mal bei einem Sturm umgestürzt, aber dann sind ein paar Umweltschützer gekommen und haben gesagt, der Baum muss da so bleiben.“ Herr Schinkel schweift ab.

Sein Sohn habe mal Nachforschungen zu Regenmantel angestellt. „Der ist auch nicht weitergekommen.“ Er kratzt sich am Bauch. „Na ja. Dann bleibt’s eben der Alte Fritz.“