SHEILA MYSOREKAR POLITIK VON UNTEN
: Hunderte Einzeltäter

Rassistische Hassverbrechen als eigener Straftatbestand? Doch nicht in Deutschland!

Endlich. Die Täter wurden zwar nicht gefasst, aber sie haben sich selbst gerichtet – mit dem Tod. Über Jahre hinweg hatte ich die sogenannten „Döner-Morde“ in der Presse verfolgt und mich gefragt, ob eine Mordserie an Norwegern wohl als „Herings-Morde“ bezeichnet worden wären. Ob die Polizei mit mehr Mühe ermittelt hätte. Ob erschossenen norwegischen Kleinunternehmern wohl auch unterstellt worden wäre, dass sie in Schutzgelderpressungen verwickelt seien, also selbst schuld an ihrer Ermordung. Ob die Polizei schneller erkannt hätte, dass nicht verschiedene Einzeltäter zufällig immer dieselbe Pistole benutzen, sondern dass ein Serienmörder es auf blonde Norweger abgesehen hat.

Warum können die Ermittler so schwer erkennen, dass Menschen Opfer eines radikalen Rassismus werden? Weil es in Deutschland keine historischen Erfahrungen mit derlei Dingen gibt? Warum werden rassistisch motivierte Morde in der Regel als unpolitische und unzusammenhängende Einzelverbrechen gewertet – sodass selbst rassistische Serienkiller jahrelang ungehindert morden können?

In den letzten 21 Jahren hat es in Deutschland 156 Mordopfer rechter Gewalt gegeben. Wenn ein Mord ein rassistisch motiviertes Verbrechen ist, dann gibt es einen politischen Kontext, und gegen diesen Kontext kann man etwas unternehmen. Wenn die Polizei und Justiz diesen Kontext aber bagatellisieren, sogar ignorieren, fühlen sich Neonazis gestärkt.

Ich bin gespannt, wie es jetzt mit anderen unaufgeklärten Attentaten auf Migranten weitergeht. Augenblicklich scheint es, als würden alle diesem Neonazi-Trio angelastet, von dem zwei Täter praktischerweise nicht mehr dazu befragt werden können. Der Verfassungsschutzbericht weist für das vergangene Jahr rund 16.000 politisch rechts motivierte Straftaten aus; das kann wohl kaum alles auf das Konto dieser Nazis aus Thüringen gehen. Es gibt also viele rechtsgerichtete Straftäter und Straftäterinnen in diesem Land. Die Konsequenz, die aus den jüngsten Ereignissen zu ziehen ist: Seht endlich die Zusammenhänge. Die Netzwerke. Den gesellschaftlichen Kontext. Die verbale Unterstützung, die diese Neonazis bekommen – aus der Mitte der Gesellschaft, durch einen migrantenfeindlichen, islamophoben Diskurs.

In anderen Ländern nennt man antisemitisch, rassistisch oder schwulenfeindlich motivierte Delikte Hate Crimes – Verbrechen aus Hass. Weil der Täter das Opfer auswählt, weil es zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe gehört – und weil sich das Verbrechen gegen die Gruppe als Ganzes richtet. Solche Delikte werden härter geahndet und die Polizei wird speziell geschult, um sie zu erkennen. In den USA und Großbritannien sind Hassverbrechen ein eigenständiger Straftatbestand. Warum nicht auch hier?

Die Autorin ist Journalistin und in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Foto: F. Bagdu