Zu den Sternen ist es nur ein Spaziergang

HIMMEL Martina Haupt und Sven Andersson haben im Garten ein Observatorium. Von dort aus wandern ihre Blicke bis zum Jupiter

„Viele Berufsastronomen sitzen meist bloß am Computer und werten Daten aus“

SVEN ANDERSSON, HOBBYASTRONOM

VON MARIA ROSSBAUER

Wenn sich die Nacht über die Dächer legt, dann klettern Sven Andersson und Martina Haupt in ihr Holzhaus im Garten, schmiegen ihre Augen ans Fernrohr und bestaunen den Glanz des Himmels. Sie sind Hobbyastronomen, sie betrachten die Sterne. Ihr Garten in Berlin-Müggelheim ist das Beobachtungszentrum: In einem eiförmigen Holzgebäude, das das Dach ihres einstöckigen Häuschens überragt, zeigen zwei mannshohe Teleskope Richtung Himmel. Auf dem Holzboden winden sich bunte Kabel, in Regalen stapeln sich technische Bauteile, Apparate blinken.

Sven Andersson zieht an einer Schnur und das runde schwarze Holzdach öffnet sich langsam und fast lautlos. Der Himmel ist klar und schwarz, nur in der Ferne bedecken ihn ein paar Wolken. Sven Andersson dreht am Rädchen eines der Teleskope. „Heute sieht man den Jupiter besonders schön“, sagt er. Der Jupiter, ein paar hundert Millionen Kilometer von der Erde entfernt, glänzt in der Linse des Teleskops so klar, dass man glaubt, ihn greifen zu können. Über den Bauch des Planeten ziehen zwei dunkle Streifen. „Wolkenstreifen,“ sagt Andersson. Auch ein großer roter Fleck ist zu erkennen: ein Wirbelsturm in den Wolken des Jupiters. Nebenan leuchtet, ganz klein, einer seiner Monde.

Seit Jahren zieht es Sven Andersson und Martina Haupt zu den Sternen. Die beiden beweisen, dass die Blicke nach oben nicht irgendwelchen Professoren vorbehalten sein dürfen. Sondern, dass der Himmel allen gehören kann.

Der Stern von Bethlehem

In der dritten Klasse trat Sven Andersson einer Sternbeobachtungsgruppe bei. Sein Vater besorgte ihm ein Astronomiebuch aus Polen. Er lebte in der DDR, und da konnte er ein Astronomiestudium vergessen. „Es wurde ja gerade mal einer im Jahr zum Astronomen ausgebildet“, erzählt er. Er wurde Funkmechaniker. Heute ist er fast froh darum: „Es gibt so viele Berufsastronomen, die nie durch ein Teleskop gucken. Die sitzen meistens bloß am Computer und werten Daten aus.“

Martina Haupt, seine Freundin, kam erst mit dreißig auf die Himmelskörper. Von ihrem Balkon aus beobachtete sie Sternbilder, bekam ein Buch zur Deutung geschenkt und gleich ein kleines Teleskop dazu. Von da an besuchte sie Sternwarten, Planetarien und schloss sich schließlich einer Beobachtergruppe an. Sie lernte dort Sven Andersson kennen. Sie schauten zusammen in den Himmel. Vor über zehn Jahren war das.

Sven Andersson – dunkler Schnauzbart, schwarze Mütze – und Martina Haupt – lange braune Haare, silbern glitzernde Ohrringe – haben sich in Winterjacken eingepackt, sie tragen feste Wanderschuhe. Die zwei verbringen oft Stunden in ihrer Gartensternwarte. „Wir beobachten vor allem im Winter“, sagt Haupt. Dann sei der Himmel dunkel genug, um auch schwach beleuchtete Planeten zu entdecken.

Manchmal, wenn das Wetter gut ist, stehen sie nachts auf, um in den Himmel zu sehen. Zum Beispiel, wenn Planeten, Asteroiden oder Sterne scheinbar aneinander vorbeiziehen. Zumindest von der Erde aus gesehen. Hätten sie ihren Garten auf dem Mars, würden sich die Himmelskörper nicht kreuzen, alles eine Frage des Blickwinkels.

Die zwei messen gern, wie lange es dauert, bis die Himmelskörper aneinander vorbeigezogen sind. Aus der Zeit leiten sie Formen und Größen ab.

Aus solch einer Konstellation von Planeten stammt wohl auch die Legende vom Stern von Bethlehem. Wenige Jahre bevor Jesus von Nazareth geboren wurde, gab es am Himmel eine sogenannte dreifache Konjunktion: Jupiter und Saturn kamen sich von der Erde aus gesehen extrem nah, das Ganze passierte im Sternbild der Fische. In der babylonischen Astrologie war Jupiter der Königsstern, Saturn galt als Planet der Juden, und das Sternbild der Fische wurde Palästina zugeordnet. Für die Menschen damals hieß das: Ein neuer König der Juden wird geboren, und zwar in Palästina. „Man kann immer irgendwas hineininterpretieren, in so Himmelserscheinungen“, sagt Andersson. Sie beide tun das nicht. Sie gucken nur nach oben, messen, fotografieren, staunen über so viel Glanz.

Manchmal, erzählt Martina Haupt, ließen ihr Freund und sie ihren Blick über den Mond wandern. Es sind gedachte Spaziergänge. Sie beobachten Schattenspiele und strolchen durch die Krater. Oder sie betrachten entfernte Galaxien und verfolgen sogar Kometeneinschläge auf dem Jupiter. Jetzt im Winter sieht man besonders gut das Sternbild Orion oder den Sternhaufen Siebengestirn.

Die beiden planen auch ihre Urlaube nach astronomischen Großereignissen. Einmal flogen sie für eine Sonnenfinsternis für einen einzigen Tag nach Sambia. Rein ins Flugzeug, Sambia, Ooooh-aaaah, zurück ins Flugzeug, und wieder nach Hause.

Vor ihrem Haus liegt ein schmaler Weg ohne Straßenlampen, bis zur nächsten gut beleuchteten Hauptstraße ist es ein kurzer Fußmarsch. Trotzdem: Die helle Großstadt ist nah. „Die Lichtverschmutzung ist enorm“, sagt Andersson. Laternen, Häuser, Gebäude, die angestrahlt werden. All das stört beim Beobachten. Denn was man sieht, hängt nicht nur vom Blickwinkel ab, sondern vom Drumherum, vom Kontext.

Die Lichtverschmutzung

Dass Städte heute so viel Licht abwerfen, dass man den Himmel gar nicht mehr sieht, stört viele Astronomen. Sie finden, dass der Himmel ein schützenswertes Kulturgut ist. In der Rhön soll deshalb der erste deutsche Sternenpark entstehen – ein Gebiet frei von Lichtverschmutzung.

In Tunesien ist der Himmel rein. Da waren die beiden vor ein paar Jahren im Urlaub. Um eine ringförmige Sonnenfinsternis zu beobachten. Nach dem sich der Mond vor die Sonne geschoben hatte, reisten die beiden durchs Land. In einer Wüstenoase kletterten sie in der Nacht auf einen Aussichtsturm. Die Betonfläche ganz oben war noch aufgeheizt vom Tag. Sie zogen ihre Fernrohre aus den Taschen, legten sich nebeneinander auf den Rücken und schauten in den Himmel.