Aber weg geht er auch nicht

LIEBE Wenn er da ist, glänzen sie zusammen. Bloß: Er ist nicht immer da. Wenn er nicht da ist, ist er bei der anderen – bei seiner Frau

VON KIRSTEN KÜPPERS

Gerade erst hat er wieder angerufen, nachts um halb zwei, hat ins Dunkel gerufen, ich liebe dich, hey, das weißt du genau: nur dich.

Sie braucht nie lange zu warten auf die Anrufe. Sie kommen alle paar Wochen. Immer noch.

Die Liebe, die in die Nacht gerufen wird, ist groß und laut. Sie drängelt am Telefon, schneit herein mit der Post, flutet ihre Tage mit Geschenken, Liedern, Blumensträußen, Sektflaschen. Ein Mann wirft dieses Gefühl in das Leben einer Frau, damit sie weitergeht, ihre gemeinsame Geschichte. So sieht es aus.

Aber so ist es nicht ganz. Denn sie schlägt Haken, seine Liebe. Macht einen Bogen um die andere Wirklichkeit. Um die andere Frau, die oben in der Wohnung sitzt, ein paar Straßen weiter in derselben Stadt, die wartet im Wohnzimmer neben einem Weihnachtsbaum mit einem Baby im Arm, der Kinderwagen unten im Hausflur. Die Liebe macht einen Umweg um die Tatsachen.

Es ist also irgendwie auch ein trübes Ding im Schatten, was sie beide da haben.

Er ist kein Mann, der bleiben kann. Immer auf dem Sprung, nie ganz da. Aber weg geht er auch nicht. Dass er immer wieder anruft, hält die Sache am Laufen. Ein wenig Verlässlichkeit in einer ansonsten ziemlich wackeligen Angelegenheit.

Ein mieser Abend im Sommer vor zweieinhalb Jahren, sagt sie, so ging es los. 27 war sie, Fahrrad geklaut, durch kalten Regen gelaufen. Er stand dann bei einer Freundin in der Küche. Ein Musiker. Sie hört eigentlich nie Musik. Aber sie wusste gleich, dass er wichtig werden würde. Sie haben ein paar Sätze hin und her geworfen, es war der Anfang von etwas, die anderen in der Küche haben nur noch zugeguckt, was passiert.

Er hat dann alles richtig gemacht, fand sie. Als sie bei eBay einen Schrank ersteigerte, hat er ihn abgeholt mit einer geliehenen Sackkarre, hat ihn quer durch die Stadt geschleppt. Als sie mit Fieber krank und hässlich auf dem Sofa hockte, kam er mit Blumen, hat gesagt: Du bist schön. Wenn seine Mutter anrief, reichte er stolz den Hörer weiter: Sag mal hallo. Von der Tante hat er Abendessen mitgebracht in einer Plastikbox.

Er sagt: Ich bin verlobt. Sie denkt: Er gibt Bescheid

Eine Liebe, wegen der man sich zueinanderlegt. Irgendwann sagt er: Ich bin verlobt. Sie denkt: Gut, dass er wenigstens Bescheid gibt. Mehr nicht.

Sie glaubt ja nicht, dass die Verlobung dem Gefühl gefährlich werden könnte. Schon allein, weil die Verbindung so schlecht ist: Die Verlobte wohnt 800 Kilometer weit weg. Das ist eine ziemliche Entfernung, wenn zwei auf einer Matratze liegen. Das ist zu weit weg, um wirklich bedrohlich zu werden für zwei, die sich stärker fühlen als der Rest.

Sie arbeitet in einem dieser modernen Medienberufe. Sie liest eine Menge. In einer Frauenzeitschrift hat sie das hier gefunden: Eine Beziehung sei wie ein Haus. Wenn einer von beiden nach draußen gehe, dann sei nicht nur derjenige schuld, der rauslaufe. Dann habe der andere auch eine Tür offen gelassen. Ein Bild, das die Sache gut trifft, findet sie. Die Geliebte hat nichts falsch gemacht. Irgendwo gibt es da ein kaputtes Haus und die Geliebte steht weit davon entfernt, ungefähr 800 Kilometer.

Und so schien es ihr: Die Verlobte war wie ein Gespenst, sie nahm lange keine Gestalt an. Oft rief sie nachts auf seinem Telefon an, weil sie Angst hatte vorm Einschlafen in ihrem Verlobtenbett, da wo sie lag: 800 Kilometer anderswo.

Natürlich macht man sich dann Gedanken, sagt sie, die Verlobte bekommt eine Form: Was für eine hilflose, ängstliche Person, überlegte sie: fürchtet sich im Dunklen wie ein Kind. Wenn er zu ihr sagte, du bist so schlau, schloss sie: Die Verlobte ist dumm. Manchmal hob er sie hoch, rief: Du bist so leicht. Bei ihr kam an: Ich bin besser als die Verlobte.

Die Idee davon hielt lange, vielleicht hält sie immer noch: Irgendwann wird er die Verlobte stehen lassen. Wenn sie ihn danach fragte, antwortete er: Warum machst du kaputt, was wir haben? Da war sie diejenige, die Probleme machte.

Sie hatten gute Monate. Auch wenn sie Gewaltiges leisten mussten beim Verdrängen. Auch wenn ihre Freundinnen abrieten, nicht aufhörten, an die Verlobte zu erinnern. Auch wenn die Liebe Umwege machte: Sie war ja groß genug dafür. Sie sagt: Sie fühlte sich am Leben mit ihm. Es war was los. Er war kein schlechter Mann. Sie ist eine anstrengende Frau, sagt sie. Er hielt sie besser aus als alle anderen vorher, sogar mit schlechter Laune.

Das war vor dem ersten Weihnachten.

Weihnachten liegt am Ende vom Jahr, eine Zeit, die auf Entscheidungen hinführt, es musste was passieren, sagt sie. Sie wollte raus aus der Warteschleife.

Vor Weihnachten fuhr er zur Verlobten und erzählte, dass es eine andere Frau gibt, 800 Kilometer weiter. Die Verlobte fragte, ob er gehen würde. Er antwortete: natürlich nicht.

Vor Weihnachten fing er an, eine neue Wohnung zu suchen. Die Verlobte würde kommen, würde die 800 Kilometer überwinden, würde wieder die Tür zumachen vom Haus.

Als sie das hört, ein Abend kurz vor Weihnachten, er sitzt bei ihr, da starrt sie in den Fernseher hinein, steif wie eine Puppe, sie kann nicht mehr weggucken. „Innerlich erfroren“, sagt sie.

Sie tanzen auf der Straße. „Magischer Abend“, sagt sie

Die Liebe war von einem der Umwege abgekommen, die Sache war gekippt.

Aber es wurde wieder gut.

Er hat Geburtstag an Weihnachten, 30 Jahre geworden. Sie schenkte ihm ein Paar Schuhe, sie rannten durch die Stadt, fuhren Taxi, tanzten auf der Straße. „Magischer Abend“, sagt sie.

Ein paar Wochen später, sagt er, dass die Verlobte schwanger ist. Eigentlich sollte man sich freuen, meint er und guckt weg.

Sie schreit, schlägt um sich, muss alles ausspucken, was sie gegessen hat. „Angeschossenes Reh“, sagt sie, lässt sich krankschreiben vom Arzt. Fährt ans Meer. Schafft Platz.

Es ist nicht klar, warum genau die Liebe dann nicht aufgibt. Vielleicht weil das Erlebte nachwirkt wie ein Rausch. Wahrscheinlich weil er immer weiter anruft. Weil er Briefe geschickt hat und Blumen. Wahrscheinlich, weil zwei Freundinnen auch was mit verheirateten Männern hatten. Die Männer haben sich dann für die Freundinnen entschieden. Man kann sich vorstellen, dass so etwas die Hoffnung wach hält.

Sie haben jedenfalls wieder begonnen, miteinander zu schlafen. Das Baby lag immer mit im Bett, so kam es ihr vor.

Eine Freundin sagt: „Er hat die Verlobte ohne Kind nicht verlassen, da wird er es mit dem Kind erst recht nicht tun.“

Beim zweiten Weihnachten sagt sie: Aus. Ich kann nicht mehr.

Im Februar kommt er betrunken und sagt, dass die Liebe immer noch da ist, größer sogar noch. Sie hatte da ja innerlich schon Abschied genommen.

Im März fährt sie abends mit dem Fahrrad. Sie sieht ihn über die Straße laufen mit der Verlobten und dem Kinderwagen. Ein Moment, wo der Abgrund sich auftut. Er schaut hoch, lässt die Verlobte und den Kinderwagen stehen, geht zu ihr, breitet weit die Arme aus, hält sie ganz fest. Die Verlobte steht abseits, fünf Meter weiter, wartet mit dem Kinderwagen. Er stellt sie nicht vor. Er sagt nicht: Guck mal, das ist mein Kind.

Sie sagt, das hat geholfen. Hat gesehen, wie billig die Liebe sein kann. War alles ganz einfach auf einmal. Sie: konnte davonsegeln mit dem Fahrrad. Er: eingesperrt im Haus. „Mit der Fußfessel an diese Frau und den Kinderwagen gekettet.“ Klingt gemein. Aber Liebe ist keine freundliche Begebenheit oft.

Sie findet, sie ist einigermaßen heil raus gekommen aus der Sache.

Immer noch sehen sie sich ab und zu. Es ist vorbei. Ob sie damit fertig ist, weiß sie nicht so genau. Bis heute hat sie keinen anderen gefunden. Sie macht sich so ihre Gedanken. Fragt sich, ob es nur deswegen gut war mit ihm, weil es einen Notausgang gab. Weil er eigentlich in ein anderes Haus gehörte.

Es ist wieder Weihnachten jetzt. Sie hat ihn im Kopf. Gerade hat er ja wieder angerufen.