1,56 Quadratmeter für 330 Euro im Monat

WUCHER Jahrelang lebte ein Pariser in einer überteuerten Kammer. Jetzt kriegt er einen Teil der Miete zurück. Der Fehler liegt im System

Wie skrupellos Vermieter in Paris sein können, beweist eine Gerichtsentscheidung vom Montag. Eine Eigentümerin und eine Immobilienagentur wurden verurteilt, weil sie dem heute 50-jährigen Dominique – Nachname unbekannt – eine Besenkammer unter dem Dach für 330 Euro im Monat vermietet hatten.

Der Fall ist reif für das Guinnessbuch der Rekorde: Der Verschlag hatte eine Bodenfläche von nur 4 Quadratmetern, wegen der Dachschrägen sind das aber nach offizieller Messung gerade noch exakt 1,56 Quadratmeter Wohnfläche. Illegal war das allemal, denn laut französischem Gesetz muss eine Wohnung mindestens 2,20 Meter Höhe, 9 Quadratmeter Fläche und 20 Kubikmeter Lebensraum bieten.

Von diesem Minimum war Dominiques Bleibe weit entfernt. Bei seiner Klage wurde er darum von der Obdachlosenstiftung Abbé Pierre unterstützt, die mit dem Prozess ein Exempel statuieren wollte. Letztlich kamen die Angeklagten glimpflich davon: Sie müssen 10.000 Euro an Mietkosten zurückerstatten und dem Klagenden zusätzlich 1.000 Euro an Wiedergutmachung und 815 Euro für seinen Umzug bezahlen. Zudem mussten sie eine neue Wohnung für ihn finden. Diese kostet nur 70 Euro mehr im Monat, ist aber 40 Quadratmeter groß.

Das wäre ein Happy End, wenn es nicht viele andere Menschen gäbe, die in der französischen Hauptstadt unter vergleichbar unwürdigen Bedingungen hausen, weil ein dramatischer Mangel an erschwinglichen Zimmern und Wohnungen herrscht. Zwar stehen in Paris rund 100.000 Wohnungen leer, doch die Hausbesitzer haben eine panische Angst vor zahlungsunfähigen Mietern. Darum stellen sie immer unverschämtere (und oft illegale) Anforderungen: Neben drei Lohnausweisen samt schriftlicher Bestätigung des Arbeitgebers und Kopien von allen möglichen Dokumenten (Geburtsurkunde, Sozialversicherung, Führerschein) verlangen sie zwei Monatsmieten als hinterlegte Garantie plus eine Bürgschaft von Verwandten, deren Einkommen auch belegt werden muss, oder als Alternative eine Jahresmiete im Voraus.

So begreift man im wohnungsverwöhnten Deutschland dann wohl im Nachhinein auch, wieso jemand 15 Jahre lang freiwillig in einem 4-Quadratmeter-Verschlag haust – ganz einfach, weil er keine solche Garantien bieten kann und so den Haifischen auf dem Mietmarkt ausgeliefert ist. RUDOLF BALMER