Die Rache der Hummeln

Lagerfeuergeschichten: Ein dicker Junge, viele dicke Insekten und ein dickes Ende

Wattewölkchen und warmer Wind – der Tag war perfekt für die Jagd! Timo Schneider rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Frau Lange verpasste ihm deshalb doppelt so viele Hausaufgaben wie den anderen. Die sich wieder mal, wie immer, über Timo, den „Klops“, lustig machten. Ihm war das heute völlig egal. Er umklammerte das Feuerzeug in seiner Hosentasche wie einen Schatz und malte sich die Freuden der Jagd aus. Niemand in der 3b hatte eine Ahnung von den Wonnen einer gelungenen Jagd. Niemand außer ihm. Als es endlich zum Schulschluss klingelte, rannte Timo als Erster durch die Tür. „Vorsicht, Kugelblitz!“, schrie einer ihm nach, aber das hörte Timo schon nicht mehr.

An Tagen wie diesen ging er am liebsten rund um den Ziegeleiteich auf die Jagd. Dort wucherten Hagebuttenbüsche, Wildhafer, Kamille, Löwenzahn wie in einem Urwald. Zu Tausenden taumelten die Biester zwischen den Blüten, schwer von Pollen und Nektar, und brummten ihre dummen Hummellieder. Vor Aufregung wurden Timos Hände nass. Er wischte sie rasch an der Hose ab, dann zog er das Feuerzeug heraus.

Die ersten zwölf Hummeln erlegte Timo auf einen Streich. Er hatte das Rädchen am Feuerzeug ganz nach rechts gedreht, und die Flamme fegte nur so über die Biester hinweg. Verschmort plumpsten sie ins Gras, eine Duftschleppe nachziehend wie die Haare seiner Mutter, wenn sie zu heiß gefönt waren. Timo, der „Klops“, liebte diesen Geruch mehr als den von Pommes. Er drehte das Rädchen auf kleine Flamme. Über einer besonders saftigen Hagebuttenblüte surrte eine besonders fette Hummel. Gelbe Pollenpolster klebten an ihren Hinterbeinchen. Timo nahm sich zuerst die zarten Flügel vor. Sie schmolzen schneller weg als Softeis. Das Insekt plumpste in den Blütenkelch zurück. Die Glieder zuckten panisch, ein paar Pollensäckchen flatterten davon. Timo grinste. Er hielt die Flamme unter die lila Blütenblätter und schnaubte, als die Hummel sich in Qualen wand. Danach schmolz er bedächtig die Fühler des Insekts und seinen wolligen Pelz. Es knisterte leise. Timo fing an zu lachen. Aus den Birken krächzten ein paar Saatkrähen zurück.

Abendrot färbte den Himmel ein, als Timos Feuerzeug endlich erschöpft war. Unzählige Hummelkadaver lagen verkohlt unter den Sträuchern. Der Junge atmete schwer. Sein rechter Daumen pochte vom Zünden und Gasgeben. Die Jagd war äußerst erfolgreich, aber jetzt merkte er die Stiche seines leeren Magens.

Timos Mutter kniete vor ihren Calliope-Rosen, als er heimkehrte. In der linken Hand hielt sie ein weiches Tuch, in der rechten eine Wasserspritze. Sie sah ihn kurz an und sagte: „Du bist spät dran, junger Mann. Kein Abendessen!“ Timo starrte wütend zurück, aber seine Mutter war schon wieder damit beschäftigt, eine Rosenblüte mit Wasser zu sprenkeln.

Frau Schneider empfand wenig Liebe für ihren Sohn. Es wurde gemunkelt, Herr Schneider hätte sich kurz nach Timos Geburt aus dem Staub gemacht. Mit einer jüngeren Frau. Timo wusste besser, warum seine Mutter ihn hasste. An seinem vierten Geburtstag hatte er über den Rosen seiner Mutter Hummeln gesehen und sie zusammen mit vielen Blumen zertrampelt. Er quiekte dabei vor Aufregung und lachte laut. Frau Schneider lachte nicht. Sie bearbeitete Timos Hintern mit einem langen hölzernen Kochlöffel und hielt endlose Vorträge über die Nützlichkeit der Hummeln und natürlich auch über Calliope-Rosen. Timo lernte daraus nur eines: Hummeln waren Biester.

Obwohl der Hunger ihm schwer zu schaffen machte, war er von der Jagd zu erschöpft, um die ganze Nacht wachzuliegen. Er lutschte an der Düse des Feuerzeugs. Sie schmeckte nach Ruß und verbrannten Haaren.

Ein Kitzeln auf den Lippen weckte Timo kurz vor Morgengrauen. Er wollte die Augen öffnen, aber das ging nicht: Etwas wie ein Pullover hatte sich über sein Gesicht gelegt. Der Pulli summte und vibrierte, und er wurde von Sekunde zu Sekunde schwerer. Timo wollte nach seiner Mutter rufen. Doch als er den Mund öffnete, stürzte dunkel brummend ein Knäuel Biester in seinen Rachen. Gleichzeitig krochen Dutzende Hummeln in seine Nasenflügel. Timo schlug um sich, er schlug sich sogar ins eigene Gesicht – aber immer mehr Insekten krabbelten ihm in die Ohren, die Augen und langsam auch in die Lunge.

Als Frau Schneider einige Stunden später das Zimmer ihres Sohns betrat, roch es darin, als hätte sich jemand die nassen Haare gefönt. Sie rief: „Du bist spät dran, junger Mann!“ Sie wollte noch fragen: „Warum stinkt es hier so?“ Doch jetzt sah sie Timo, der wie ein schlaffer Luftballon in einer Lache aus Blut und Lymphe und Hirnmasse lag. Sehr langsam kletterten zwei Hummeln aus Timos leeren Augenhöhlen. Frau Schneider fiel in Ohnmacht. Die Hummeln brummten empor zur offenen Fensterklappe. Dann schwirrten sie in das Beet mit den Calliope-Rosen hinab. Sie wurden mit großem Gebrumme empfangen.

KAY SOKOLOWSKY