die wahrheit: Der gut geölte Parteisoldat

Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Olaf "Bubi" Scholz.

Er war damals ziemlich klein, aber größer. als wenn er noch kleiner gewesen wäre. Bild: reuter

"Verdammt und zugenähter Arbeiterverräter!", "Zieht dem Kerl das Podium unter den Füßen weg!", "Von deinem Geschwätz krieg ich Pickel auf den Ohren!", "Du falsches Ei!", "Setz dich auf deine sechs Buchstaben und tu was, statt hier dicke Reden runterzuheucheln!": Kaum hatte Olaf Scholz auf der Maikundgebung des DGB in Bielefeld den Schnabel geöffnet, da standen die Zwischenrufer quer bei Fuß. Als die ersten Schuhe und Schlüsselbunde auf ihn prasselten, hätte mancher Redner wohl mit der Polizei gefuchtelt. Doch der Minister blieb gelassen, selbst als halbe Fahrräder und aufgeblähte Mülleimer auf ihn geschmissen wurden. Hinterher hielt er sogar sein angeborenes Lächeln in die Kameras und machte wie immer das Schaf, das Kreide gefressen hat. "Es waren zwar viele Störer", diktierte er in die bereitstehenden Journalisten, "aber weniger, als wenn es mehr gewesen wären!"

Die Älteren unter den Gewerkschaftern hatten auch fünf Jahre nach Erfindung der Agenda 2010 nicht vergessen, dass Scholz damals als SPD-Generalsekretär bei Gerhard Schröders Kampfprogramm mitmachte, dass sich die Balken bogen. Da kann er nun, seit er sich im November 2007 als Bundesminister für Arbeit und Soziales in die Öffentlichkeit zurückgeschoben hat, einen noch so starken Mund für steile Mindestlöhne riskieren - sein Kerbholz bleibt für alle sichtbar, zumal er nach wie vor mit eiserner Lippe darauf beharrt, dass bei Hartz IV vielleicht manches nicht ganz richtig war, aber keinesfalls so verkehrt, dass es falsch wäre.

Egal, ob er jetzt eine schön anzusehende Altersteilzeit fordert oder einen wohlgeformten Ruhestand für alle, die ihre Hände vorzeitig abgearbeitet haben: Jeder spürt, dass Scholz nicht so viel für ihn tut, wie wenn er mehr täte, und dass der Minister mit angezogener Zunge argumentiert, wenn er sich für die Ausgeleierten und Zerbeulten in unserer Gesellschaft in die Zügel legt. Jeder hörte ihn bei der Vorführung des Armutsberichts, wonach ein Viertel der Bevölkerung auf dem Zahnfleisch lebt: "Es gibt viele Arme in Deutschland, aber weniger, als wenn es noch mehr wären"; und jedem klingeln die Worte im Ohr, mit denen er die Rentenerhöhung, die nicht mal für die Sahne auf einem Keks reicht, rechtfertigte: "Das ist viel zu wenig, aber mehr, als wenn es gar nichts wäre!"

Dabei hat der stets fein gebügelte Minister den größten Haushaltspfropfen zu verwalten: 124 Milliarden Euro gehören ihm allein in diesem Jahr, weit mehr, als wenn es auch nur etwas weniger wäre. Doch als Sohn von Kaufleuten, die ja berufsmäßig vom Geld anderer leben, weiß er seit dem 14. Juni 1958 - er war damals ziemlich klein, aber größer, als wenn er noch kleiner gewesen wäre -, dass man seine Einnahmen nicht einfach verschenken darf, denn dann kann man sie gleich verschenken.

Gleichwohl hatte Olaf "Bubi" Scholz anfangs ein linkes Herz. Er ruderte beim Stamokapflügel der Jusos mit, der das Monopolkapital an die Laterne wünschte, und lernte Anwalt für Arbeitsrecht, um den Bedrückten und Zerquetschten beizustehen. 1998 aber rückte er in den Bundestag ein und sattelte, obwohl bislang unbescholten, auf Schröder um. In dessen Fußstapfen kam er zügig nach vorn, wo die Sonne ist: 2001 wurde er in den Bundesvorstand der SPD gehievt und 2002 zum Generalsekretär der einst sozialdemokratischen Partei erhoben, der flugs versuchte, noch der Leerformel vom "demokratisch gepuderten Sozialismus" den Laufpass hinterherzuwerfen.

Zwar erntete er dafür literweise Kritik von unten, doch den schrägen Vorwurf, das eigene Parteivolk nicht zu kennen, schob er souverän unter den Teppich. Scholz damals: "Ich habe doch mehr Kontakte zur Basis, als wenn ich viel weniger hätte!" Scholz wurde rechts, blieb aber linker, als wenn er noch rechter geworden wäre. Deshalb kann er sich nun als Minister wieder linker geben, als er rechts jemals gewesen ist. Olaf Scholz klebt sowieso nicht an seinen Meinungen. Schließlich ist es viel gefährlicher, zu spät seine Richtung zu wechseln, als nicht erst lange zu warten. Und seiner Kunst, die Nase nach dem Zeitgeist zu drehen, entspricht die Fähigkeit des gut geölten Parteisoldaten, jedem Posten bis hinters Komma gerecht zu werden. Auf einen Pfiff von oben geht er dorthin, wo die Partei im Pfeffer liegt: Mal macht er für ein halbes Jahr den Innensenator irgendwo in Hamburg, mal sitzt er an der Elbe auch der weitgehend von Ideen und Mitgliedern entleerten SPD vor; dann, nachdem er für zwei Jahre den Platz des Generalsekretärs aufgefüllt hat, gibt er ebenso kurz den parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion und ist Peter Strucks persönliches Arbeitspferd. Inzwischen lebt er seit neun Monaten im Bundeskabinett, und nur er selber weiß, wann er seinen Stuhl als Minister wieder niederlegt. Scholz: "Dafür ist es immer zu spät, aber manchmal zu früh - und sogar umgekehrt!"

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kari

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