Merkels Baseballprinzip

WAHLKAMPF AT IT’S BEST Die Bundeskanzlerin und ihre Partei haben von der uramerikanischsten aller Sportarten eine Menge gelernt

In der Steuerdebatte besetzt immer ein CDU-Politiker sicher sein jeweiliges Home-Plate und triumphiert

Wer da glaubt, der jüngste Besuch der Kanzlerin in Washington habe in erster Linie staatsfraulichen Pflichten gegolten, irrt gewaltig. Im Mittelpunkt standen vielmehr Geheimgespräche mit Vertretern der US-amerikanischen Baseballliga MLB. Deshalb war Angela Merkel offenbar auch Gast beim Derby der New York Yankees gegen die New York Mets. Denn dieses typisch amerikanische Spiel, dessen Regeln kein normaler Mensch verstehen kann, soll den CDU-Strategen den Sieg bei der Bundestagswahl im September sichern.

Und noch vor dem Wahlprogrammkongress am Sonntag waren die Direktiven der Parteivorsitzenden über den Atlantik in die Ohren von Roland Pofalla und anderer Meinungsträger der Union gedrungen und dort sofort auf fruchtbare Trommelfelle gestoßen. Doch alles schön der Reihe nach …

Schon der Knüppel in den Händen des Schlägers beim Baseball wirft Fragen auf: Ist eigentlich der Werfer von derselben Mannschaft wie der, der schlägt? Warum pfeift der Schiedsrichter so unberechenbar? Wozu trägt der Werfer eine Mütze, der Fänger aber einen Gitterhelm wie ein Torhüter beim Eishockey? Und worauf kauen die Spieler eigentlich die ganze Zeit mit vollen Backen? Dieses Spiel besteht aus einem regellosen Durcheinander wie die Vorhölle und das CDU-Programm.

Doch Vorsicht ist am Platze! Das CDU-Programm kennt immerhin vier Positionen – genauso viele, wie das Baseballquadrat Male aufweist. Selbst wenn Grüne, FDP, SPD und Linke gemeinsam gegen die CDU antreten würden, hätten sie keine Chance, auch nur eins der Male mit ihrer Meinung zu besetzen. Da, wo die Linke hinliefe, stünden schon die christdemokratischen Arbeiterführer um Blüm und Rüttgers; Westerwelle würde von der CDU-Mittelstandsvereinigung um Schlarmann und Bernhardt abgeschmettert; die SPD hätte es mit dem gemeinen bewegungslosen Unionswähler zu tun; und die Grünen müssten mit der Umweltaktivistin Angela Merkel persönlich rechnen. Gleich vierfach ungestört spielt also die CDU das Hase-Igel-Spiel auf dem Baseballfeld.

Besonders deutlich wird diese Raffinesse bei der aktuellen Steuerdebatte. Egal, ob irgendwelche Politiker die Erhöhung des Spitzensteuersatzes oder der Mehrwertsteuer fordern oder umgekehrt die Senkung von Steuern unter Normalnull ankündigen – mindestens ein CDU-Politiker steht bereits sicher auf seinem Homeplate und triumphiert: „Ich bin schon da!“ Das eingespielte Kanzlerinnenteam hat in diesem Falle bereits die Läufer Böhmer, Oettinger, Seehofer und Pofalla so positioniert, dass kein Platz für abweichende Meinungen aus anderen Parteien mehr frei ist.

Gut aufgestellt zu sein, hat sich ja auch von der Redewendung her fett ins neudeutsche Selbstverständnis von Firmen und Parteien eingeparkt. Aber nur die CDU war bisher in der Lage, die Standpunkte dort zu finden, wo sich das Besetzen und Verharren lohnt. Vom Baseball lernen, heißt den Irrsinn ins Grundgesetz zu bringen.

Dabei hätten sowohl die Linke als auch die SPD allen Anlass, sich einmal unter Amerikas Baseballteams umzutun, am besten bei den Boston Red Sox. Am erstaunlichsten ist aber, dass sich die selbsternannte Freiheitsstatue Guido Westerwelle noch keine Tipps bei den San Francisco Giants eingeholt hat. So wird der Gigant unter Deutschlands Politikern wohl nie seinen heiß ersehnten Homerun auf einen Ministersessel schaffen. REINHARD UMBACH