die wahrheit: Furunkel und Karbunkel

Geschichten zum Winden - Heute: Bei einer Hautarztromanautorin.

Dringender Warnhinweis: Personen mit einer niedrigen Ekeltoleranz, einem schwachen Magen oder etwa Halswirbelschäden sollten wegen der hohen Windungsgefahr von der Lektüre dieses Wahrheit-Textes absehen.

Zärtlich legte Dr. Schorn seine Hände auf den talgigen Rücken der erschauernden Ingeborg. Mit seinen eleganten Pianistenfingern umschloss er Mitesser um Mitesser, drückte sie behutsam, aber mit mannhafter Kraft, bis sich die eitergefüllten Bläschen öffneten wie Lotusblumen in einer lauen Sommernacht.

Hedwig Schünemann lässt die Hände auf der Tastatur ruhen und blickt auf. "Vor ein paar Jahren wäre das noch undenkbar gewesen", sagt die resolute Berlinerin mit der Reibeisenstimme und tippt schon den nächsten Satz.

"Ingeborg", hauchte Dr. Schorn in die Stille, die lediglich vom leisen Knacken der Pusteln durchdrungen wurde. "Ingeborg, was für ein herrliches Furunkel."

Oder Karbunkel? Hedwig Schünemann greift zu dem medizinischen Lehrbuch auf ihrem Schreibtisch, steckt sich noch eine Zigarette an und starrt tapfer auf die kleinformatigen Fotos nekröser Hautformationen. Dann schluckt sie den Ekel mit einem Schluck Fernet hinunter und tippt weiter.

Ingeborgs schrundiger Körper wand sich unter den sanften Berührungen des attraktiven Mediziners. Doch würde sie für Dr. Schorn je mehr sein als bloß ein herrliches Furunkeldepot?

Seit über vierzig Jahren schreibt Hedwig Schünemann Heftchenromane, doch mit ihrer neuen Serie "Hautarzt Dr. Schorn" betritt die geübte Altmeisterin Neuland. "Hygienischer Realismus" heißt der neue Stil, der seit Charlottes Roches Sensationserfolg "Feuchtgebiete" gleichermaßen Feuilletons wie Proktologenkongresse beschäftigt. Jetzt ist er im Mainstream angekommen - bei Hedwig Schünemann und ihren Groschenromanen. "Ekel, ja gerne - aber gepflegt muss er sein", beschreibt Schünemann die Vorlieben ihrer Kundschaft und schreibt routiniert einen weiteren Absatz herunter.

Dann stand Dr. Schorn - Bernd, wie sie ihn mittlerweile nannte - zum ersten Mal nackt vor ihr. Wie kleine, sandgefüllte Säckchen wippten seine Männerbrüste keck über dem Bauch, der sich majestätisch über das beschattete Gemächt schürzte. Jetzt erst entdeckte Ingeborg das Gewirr von blauroten Dehnungsstreifen, die sich gleich einem Nest subkutaner Regenwürmer vom äußeren Lendenwulst über die kühn geschwungene Hochebene seines Bauches bis weit hinunter zum wild wuchernden Urwald des Schamhaars schlängelten, das dunkel und dampfend an den Hängen der käsig schimmernden Oberschenkel brütete.

"Jetzt heißt es Nerven bewahren", spricht sich die Schünemann Mut zu und greift abermals zur Fernet-Flasche. Die große alte Dame der Arzt- und Adelsromane wirkt gefasst, aber doch zutiefst verstört. Der Schritt vom Bergdoktor- zum Dermatologenroman fällt ihr sichtlich schwer, dabei hat Hedwig Schünemann das Gewerbe der Lohnschreiberei von der Pike auf gelernt. Von ihrem Vater hatte sie Mitte der Sechzigerjahre eine gut gehende Landser-Reihe geerbt und ihm noch am Sterbebett versprechen müssen, dass Stalingrad niemals fallen werde. Und tatsächlich beendete Schünemann die Reihe schließlich mit einem salomonischen Unentschieden, das sie den schneidigen Oberstleutnant Gunther von Rettich gegen eine ganze russische Division im Alleingang am Ufer der Wolga ausfechten ließ, bewaffnet nur mit einem zerbrochenen Kürassiersäbel und vollendeter Chevalerie.

Doch das waren andere, längst vergangene Zeiten und so wendet sich La Schünemann, angetan mit einem cremefarbenen Kaftan aus Rohseide, wieder der erblühenden Liebe Ingeborgs und dem Pschyrembel zu, denn mittlerweile senkt sich der Abend über die kleine Mansardenwohnung und auch der Plot (Folge 131: "Wo die Gürtelrose blüht") wälzt sich unerbittlich dem verdienten Ende zu: der großen romantischen Liebesszene bei Kerzenschein und - neuerdings - Körpersäften: Schmatzend verschwand Ingeborgs Faust in der feuchtwarmen Höhle seines Buchnabels und entwand der fleischigen Tasche unter dem erregten Stöhnen ihres Geliebten einen talgigen Pfropf, den die Kräfte der Natur dort aus Hautschuppen, Flusen und Körperhaar gewirkt hatten. "Das Unterpfand unserer Liebe", wisperte sie und ließ das Gewölle in die Hand des Mediziners gleiten. "Das Unterpfand unserer Liebe", wiederholte der ergriffen …

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kari

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