die wahrheit: Plündern leicht gemacht

Sommertrend: In der Volkshochschule für modernes Brandschatzen.

Beim Ausplündern von Läden und Geschäften sind Wikinger, Deutsche und Briten vorbildliche Lehrmeister. Bild: reuters

Der neunzehnjährige Sven ist begeistert: "Geil. Es war Bombenstimmung, wie bei einer Mediamarkt-Eröffnung, bloß ohne die störenden Kassen am Schluss." - "Ich habe dieses superschöne Oberteil und ein paar CDs ergattert", strahlt auch Saskia D. (23) und wischt sich den Ruß aus dem Gesicht "Aber eigentlich geht es mir eher um das Gemeinschaftserlebnis. Mit netten Leuten spontan etwas Verrücktes unternehmen."

Helmut W. (57) dagegen hat eine lange Liste abzuarbeiten: "Weihnachtsgeschenke für die Enkel", schmunzelt er. Dennoch wirkt der bedächtige Frührentner ein wenig enttäuscht. "Eigentlich hatten sich die Kinder neue Spielkonsolen gewünscht, aber niemand konnte mir sagen, ob die Angebotenen auch HD-Grafik unterstützen. Da hatte ich mir mehr versprochen."

"Das ist vollkommen normal", beschwichtigt Kursleiter Torkel "Blutaxt" Ösfrid. "Beim Plündern muss man oftmals Abstriche im Servicebereich machen." Er rät seinen Teilnehmern, sich im Vorfeld eingehend über die gewünschten Produkte zu informieren, etwa durch einen Anruf bei der Verbraucherzentrale.

Der gebürtige Däne, dessen Vorfahren London bereits im 9. Jahrhundert erfolgreich geplündert haben, will den Sommertrend aus der britischen Hauptstadt auch in die deutsche Provinz bringen, deswegen bietet er an der Volkshochschule Ruppichteroth den Kurs "Plündern - eine uralte Kulturtechnik neu entdecken" an.

"Plündern kann eigentlich jeder. Man braucht weder spezielle Vorkenntnisse noch komplizierte Manifeste, deswegen passt es so gut in unsere Zeit", meint der verschmitzte Nordmann und fügt hinzu: "Die Deutschen brauchen vielleicht etwas mehr Struktur und Anleitung, aber wenn sie einmal Freude daran gefunden haben, gehen sie sehr methodisch und gewissenhaft vor. Das haben sie in der Geschichte wiederholt bewiesen."

Eine ältere Dame nickt wissend. "Arisieren nannte man das früher." Sie habe sich dennoch zunächst nicht getraut, mitten in der Nacht Scheiben einzuschlagen, wegen der Lärmbelästigung. "Aber dann hat es mir doch Spaß gemacht, richtig jung habe ich mich gefühlt", sagt sie stolz und zeigt ihr neues Kaffeeservice herum. "Mit meinem Kurs möchte ich nicht zuletzt diese Berührungsängste abbauen", meint Ösfried. "Ich sage immer: Stellen Sie sich einfach vor, Sie lüden etwas aus dem Internet herunter. Da hat auch niemand ein schlechtes Gewissen."

Die alte Dame nickt wieder, diesmal jedoch verständnislos. Offenbar sind noch nicht alle Kursteilnehmern firm im Umgang mit den neuen Medien, doch Ösfrid erklärt programmatisch: "Die Entwicklung schreitet rasch voran. Facebook-Revolution war gestern, Blackberry-Looting ist das nächste große Ding." Er selber komme ursprünglich "vom Flashmob", erklärt er, aber nach einigen Jahren habe ihm sinnloses Herumstehen einfach nicht mehr gereicht, außerdem sei damit kaum etwas zu verdienen. Mit einigen Gleichgesinnten hat Ösfrid deswegen den altnordischen Brauch der "Vikings", des organisierten Plünderns und Brandschatzens in der unmittelbaren Nachbarschaft wiederaufleben lassen und in eine zeitgemäße, internetgestützte Form übersetzt.

"Ein absoluter Volltreffer", gibt er sich hochzufrieden. "Unser Know-how ist mittlerweile weltweit gefragt, wir beraten sogar große, internationale Firmen. So haben wir etwa geholfen, neue Finanzdienstleistungen zu konzipieren, die auf Knopfdruck das Ausplündern ganzer Landstriche erlauben."

Dass der Plündervirus nun, wie im Falle der Ausschreitungen in London, auf den Endverbraucher übergesprungen ist, erfüllt Ösfrid mit Freude und Stolz. "Ob auf der Straße, an der Börse oder im Büro. Plündern verbindet!", freut sich der Däne. "Menschen verschiedenster Kulturen und Klassen vereint unter dem Banner der persönlichen Bereicherung marschieren zu sehen, ist doch immer ein erhebender Anblick."

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