Die Wahrheit: Mörderisches Speiseeis

Sie gehören zum britischen und irischen Sommer wie der Nieselregen: Auch wenn das Wetter eher zu einem Grog einlädt, ...

... ziehen die knallbunten Eiscremewagen unerbittlich durch die Wohnsiedlungen. Sobald die ohrenbetäubende Meldodie einsetzt, strömen die Kinder auf die Straße, um sich ein Tütchen der kalten Ware zu beschaffen. Nur unsere Nachbarskinder nicht. Ihre Eltern haben ihnen weisgemacht, dass der Verkäufer die ohrenbetäubende Melodie nur dann einschaltet, wenn er ausverkauft ist.

Vielleicht sind die Eiscremewagen bald eine Sache der Vergangenheit. In Ludlow in der englischen Grafschaft Shropshire versuchen Geschäftsinhaber, die Wagen aus der Stadt zu verbannen, weil sie "das Niveau ins Bodenlose" senken. Sie verstellen abgeblich die freie Sicht auf die mittelalterliche und georgianische Architektur. In Wirklichkeit geht es wohl eher darum, die lästige Konkurrenz loszuwerden.

Auch anderswo geht es den Speiseeisspezialisten an den Kragen. Vielerorts haben die Stadtverwaltungen für die Eiscremewagen spezielle Parkverbotsschilder erfunden, vor allem in der Nähe von Schulen. Mark Gossage, Direktor des Speiseeisverbands, der in den Sechzigerjahren noch 20.000 Mitglieder hatte, heute aber auf 700 geschrumpft ist, klagte: "Sie löschen uns aus."

Dabei gab es Eiscreme bereits in der griechischen Antike. In England tauchten die bunten Eiscremewagen erstmals im 19. Jahrhundert auf. Damals wurden sie von Pferden gezogen. Die motorisierte Variante gibt es seit den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts. Das Geschäft war so lukrativ, dass es gewaltsame Auseinandersetzungen um die besten Stellplätze gab. 1984 wurden in Glasgow sechs Mitglieder der Doyle-Familie, die die Marchetti-Kette betrieb, von einer gegnerischen Speiseeismafia eiskalt ermordet.

Dazu passt, dass "Greensleeves" die beliebteste Melodie der Eiscremewagen ist. Das Lied soll von Heinrich VIII. für seine Ehefrau Anne Boleyn komponiert worden sein, die er später köpfen ließ. Das zweitbeliebteste Lied ist "O sole mio" des neapolitanischen Musikers Eduardo Di Capua. Dabei ist es vollkommen gleichgültig, welche Melodie gespielt wird, sie muss nur laut genug sein. Der grauenhafte blecherne Klang stammt aus einer Tröte, die an die Vorderachse montiert ist und nach unten zeigt, so dass der Sound von der Straße reflektiert wird.

Die zwölf Töne, die ein Eiswagen spielen kann, kommen aus einem "Pixiphone", einer Art Spielzeug-Xylofon. Das brachte den Künstler Chris Yates und den Komponisten Kelvin Pawsey auf die Idee, ein Orchesterwerk für Eiscremewagen zu komponieren. Aufgeführt wurde es von sechs Wagen, dem "Fleet Ice Cream Orchestra", zum Entsetzen der Anwohner anlässlich des London-Marathons. Das furchtbare Konzert wurde im Kinderprogramm des Fernsehens gezeigt. Da wurden selbst die gutgläubigen Nachbarskinder misstrauisch, denn nach dem Konzert verteilten die Musikterroristen kostenlose Eistüten an die benommenen Zuhörer.

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kari

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