die wahrheit: Faustschläge im Mondschein

Ich bin einer dieser Typen, denen man nachts nicht begegnen möchte - nur weiß man das tagsüber nicht, weil ich ein gepflegtes Äußeres und gute Manieren besitze...

...Doch im Schutz der Dunkelheit verwandle ich mich in einen wütenden Werwolf, meist nach Mitternacht. Doch wann genau dies geschieht, kann man vorher nicht sagen, es hängt bei mir nämlich nicht von so etwas Vorhersehbarem wie dem Vollmond ab, sondern vielmehr von der Türsprechanlage in unserem Haus beziehungsweise von ihren ohrenbetäubenden Fehlfunktionen.

Die Sprechanlage gab schon immer unangenehme Geräusche von sich. Die Menschen klingen darüber meist wie aus einem Kriegsgebiet - so wie Soldaten, die unter Artilleriebeschuss stehen und nach Verstärkung rufen. Und wenn sich einer von diesen unfreundlichen Werbezetteleinwerfern in gebrochenem Deutsch mit "Werbung, bitte?" meldet, klingt das wie ein hasserfülltes "Ich bring dich um!"

Der dazugehörige Türöffner ergänzt das Ensemble durch ein elektroschockerartiges Gespratzel. Im Normalzustand ist das also schon gewöhnungsbedürftig, doch seit die Sprechanlage eine Macke hat, treibt sie mich in den Wahnsinn - und lässt meine Nachbarn denken, ich sei ein Irrer, der nächtens mit wallendem Haar und hassverzerrtem Gesicht herumgeistert und auf Lautsprecher einschlägt.

Wie alle vom Teufel besessenen Elektrogeräte wird auch diese Sprechanlage selbstverständlich erst weit nach Sonnenuntergang heimgesucht, vorzugsweise zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens. Nichts ahnend träume ich gerade von Schäfchen, als sich plötzlich ein fieses Brummen in meine REM-Phase bohrt und sich die Schäfchen langsam in blutrünstige Kapuzenkiller verwandeln - bis ich aufschrecke und mir langsam bewusst wird, was los ist. Wutentbrannt stapfe ich zur Haustür und haue wie in Trance auf das lärmende Ding ein.

Das Geräusch, das die Sprechanlage fabriziert, ist dem penetranten Dröhnen antiquierter Radiowecker nicht unähnlich. Ein Getöse, das bei mir schon immer Angstzustände ausgelöst hat. Noch zehn Minuten nach dem Weckerklingeln bin ich völlig aufgekratzt. Wenn ich ein Greis wäre, hätte ich sicher längst einen Herzinfarkt bekommen. Man liest ja immer wieder, dass man dafür morgens besonders empfänglich sein und deshalb auch zu heißes Duschen vermeiden soll.

Nur ist dieses Sprechanlageninferno leider zwanzigmal lauter als jeder Radiowecker - und da sich die Eingangstür genau unter meinem Bett befindet, hört es niemand deutlicher als ich. Und das ist noch nicht alles: Nachdem ich dem widerlichen Gebrumme mit einem gezielten Faustschlag den Garaus gemacht habe, hallt es noch einige Zeit als Phantomgeräusch in meinen Ohren nach, so dass ich mir nicht sicher bin, ob es nun tatsächlich ausgeschaltet ist oder nicht. An Schlaf ist vorerst nicht zu denken.

Bleibt mir nichts anderes übrig, als im Mondschein mein zerzaustes Wikingerhaar zu glätten, damit ich am nächsten Tag wieder gewohnt adrett und freundlich aussehe.

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kari

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