die wahrheit: Das Fleisch der Feinde

Katastrophen: Hilfe für die geschundenen Katzen von Somalia.

O, ist das süß, das kleine Babybabybaby-Kätzchen aus dem bösen und dreckigen Somalia. Bild: reuters

"Dass da überhaupt keiner dran denkt, dass hier in Somalia schließlich auch ganz viele Katzen leiden!" Ilsemarie Schlaudraff schüttelt verständnislos den Kopf, ihre langen grauen Strähnen fliegen im Sandsturm. Die beachtliche Matte weist nicht wenige Einschusslöcher auf, untrügliche Zeichen dafür, wie oft es bereits knapp geworden ist für die Somaliabeauftragte der internationalen Katzenschutzorganisation "Charité Chat".

Doch scheinbar unberührt hält sie unter widrigsten Umständen eisern die Stellung. Und zwar buchstäblich, denn die engagierte Tierschützerin hat zusammen mit etwa zwanzig Mitarbeiterinnen ihr Hauptquartier in einem ausgebrannten Kampfpanzer chinesischer Bauart aufgeschlagen. Ehe sie ihre Arbeit hier im Stich lässt, schulen die somalischen Piraten auf Altenpfleger um.

"Vor allem in Mogadischu gibt es derart viele Streuner. Ich verstehe absolut nicht, warum sich kein Schwein um sie kümmert", klagt die energische Endfünfzigerin und scharrt mit ihren Trekkingsandalen blitzschnell ein metertiefes Loch der Verärgerung in den blutdurchtränkten Lehmboden. "Die Menschen denken hier nur an sich, nur an sich! Eine überaus abscheuliche Mentalität."

Empört zählt sie die Versäumnisse der einheimischen Bevölkerung auf: Niemand füttert die Tiere, kümmert sich um tierärztliche Behandlung oder um die Eindämmung ihrer uneingeschränkten Vermehrung. Am skandalösesten jedoch sei, dass hier bedenkenlos ein grausamer und egoistischer Bürgerkrieg geführt werde, der die Katzen nicht nur überhaupt nicht betrifft, sondern dass in diesem Rahmen auch noch überall geschossen werde, ohne die geringste Rücksicht auf die Tiere zu nehmen.

"Wenn ,Charité Chat' nicht wäre, würde hier eine tierische Katastrophe drohen", erläutert Schlaudraff ihr Handeln: So zweigt die Organisation von sämtlichen UN-Hilfslieferungen an Obst, Gemüse und Getreide regelmäßig zwei Drittel für ihre Schützlinge ab. "Anfangs dauert es immer eine Weile, bis sich die Kerlchen an die rein pflanzliche Diät gewöhnt haben, aber am Ende fressen sie doch alle."

Des Weiteren werden spendenfinanzierte Tierärzte und -psychologen, schusssichere Katzenpullover sowie Kondome eingeflogen, in deren Gebrauch die Kater von den Helferinnen eingewiesen werden. Das gefällt nicht unbedingt jedem, wie deutliche Kratzspuren an Gesicht und Unterarmen zeigen, "aber es muss nun mal sein", betont sie lachend und mit einem unerwartet schelmischen Zug um die Augen. Fast wirkt sie in diesem Moment wie ein fröhliches, großes Mädchen mit grauem Haar.

Doch gleich wird sie wieder ernst. Natürlich sei vieles unter den gegebenen Umständen nicht einfach. Man müsse improvisieren, koalieren und zu Kompromissen bereit sein. So kooperiere sie tatsächlich am besten noch mit den diversen Warlords, erfahren wir und sind überrascht über die Details aus der vergleichsweise unromantischen Alltagspraxis der Tierretter.

Die somalischen Kriegsherren seien nämlich in erster Linie an Mord, Vertreibung und Vergewaltigung von Menschen interessiert, während sie sich andererseits oft als überraschend tierlieb entpuppten: "Nicht wenige füttern sogar die Hunde mit dem Fleisch ihrer Feinde. Das muss man mal gesehen haben."

Den vorsichtigen Einwand, bei den angesprochenen Herrschaften handele es sich, unserem unmaßgeblichen Informationsstand nach, immerhin um widerwärtige Massenmörder, kontert Schlaudraff geschickt mit einer Redensart: "Einem geschenkten Gaul haut man nicht aufs Maul!" Das tierfreundliche Bonmot kommt uns vage bekannt vor. "Voltaire?", haken wir nach. "Nein, Glückskeks", erwidert Schlaudraff. "Den habe ich beim Fegen in unserem Wohnpanzer gefunden: ein Zeichen …"

Ein scharfer Knall unterbricht sie mitten im Satz. Der uns begleitende Fotojournalist Frank Krüger (37, extrem glücklich verheiratet, vier großartige Kinder) bricht gurgelnd über einem Kätzchen zusammen, das er gerade beim Verzehr einer Portion Rucola aus UN-Beständen ablichten wollte.

Mit einem Aufschrei stürzt sich Schlaudraff auf den Haufen Elend und zerrt mit schier übermenschlichen Kräften den sterbenden Zweizentnermann beiseite. Erleichtert atmet sie auf: Wie durch ein Wunder ist dem kleinen Tier nichts passiert. Offenbar hat es sich exakt in der großzügigen Vertiefung zwischen Kameratasche und klaffender Bauchschusswunde verbergen können.

"Das war knapp." Ilsemarie Schlaudraff zittert hörbar die Stimme. "Man sieht hier jeden Tag so viel Schreckliches, aber an manches werde ich mich wohl trotzdem niemals gewöhnen." Zum ersten Mal wird deutlich, dass selbst für diese bisher so überaus stark und souverän wirkende Frau irgendwann die Grenze des Erträglichen überschritten ist. Am Abend im Camp plündern wir die eiserne Bierreserve.

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kari

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