die wahrheit: Fortgesetztes Jagdfieber

Neues aus Neuseeland: Ich sitze an der wilden West Coast, in einem zum Wohnwagen umgebauten Laster aus dem Jahre 1956. Der house truck ist eine wunderschön...

Ich sitze an der wilden West Coast, in einem zum Wohnwagen umgebauten Laster aus dem Jahre 1956. Der house truck ist eine wunderschön primitive Unterkunft zwischen Farnen und Klippen. Gottverlassen und grün ist es um mich herum, das nächste Handynetz eine halbe Stunde gewundene Küstenstraße entfernt. Weit unter mir tost das Meer, der Regen trommelt tropisch auf die Holzschindeln, und irgendwo da draußen geistert ein Mann mit geladenem Gewehr herum. Mein Mann.

Klingt wie die neuseeländische Version von "The Shining"? Keine Sorge, alles wird gut. Wenn nur endlich ein Schuss fällt und Jack Nicholson mit einer toten Ziege heimkehrt …

Was ein Glück, dass es diese Landplage gibt. Wilde Ziegen fressen den Paparoa-Nationalpark kahl und sind fast so schlimm wie die verhassten Opossums. Nur deshalb hat mein Mann ja den Waffenschein gemacht: als Öko-Retter und Neu-Kiwi mit Hang zur Überassimilation. Nix Lodenkluft, Halali oder Geweihtrophäe, sondern back to the roots. Die Familie wie zur Steinzeit ernähren: damals Mammut, heute Ziege. Einer von diesen Kerlen sein, die sich nach der Arbeit kurz das Gewehr schnappen, um noch was fürs Abendbrot zu schießen. So wie die Fischer, Goldwäscher und Holzfäller an dieser Küste.

Die können sich nicht vorstellen, dass der Mann aus Europa eine ganze Jugend lang nichts erlegte oder zumindest aus einer Falle holte. Opossumrupfmaschinen haben sie hier. Er hatte Lego. Dennoch steckt es irgendwo tief in seiner DNS, auch durch Jahrzehnte der Sozialisation im pazifistischen deutschen Ballungsraum nicht auszumerzen. Jetzt bricht sich das lange unterdrückte Jäger-Gen endlich Bahn.

Ich habe vor so viel Mannwerdung und Naturgesetz kapituliert. Immerhin ist Schießen der älteste offiziell anerkannte Sport in Neuseeland. Wir Immigranten müssen uns anpassen. Statt auf die Vegetarier höre ich lieber auf die Fleischexperten. Also Köche, die mir sagen, wie lange man wilde Ziege abhängen lassen und marinieren muss, damit sie nicht zäh ist oder stinkt.

Ich plane eine indische Curry-Pfanne. Jetzt fehlt nur noch die Protein-Einlage. Sicher lässt sich aus dem Fell ein hübsches Kissen oder so machen. Den Schädel können die Kinder anmalen, wenn die Maden damit fertig sind. Ich sehe mich als verwegene Pionierfrau, die entbeint, filetiert und gerbt. Doch erst muss endlich mal der Todesschuss fallen. Wir haben nur noch ein paar Tage in der Wildnis.

Als wir mit den neuen Knarren im Auto gen Westen fuhren, war ich etwas beunruhigt - Rasterfahndung käme jetzt nicht so gut. Als Deutsche kann man gar nicht vorsichtig genug sein. Der Landsmann, den sie hier gerade festnahmen, sitzt jetzt in Auslieferungshaft und hatte das FBI an den Hacken. Was war der wesentliche Punkt bei der Kautionsverhandlung vor Gericht? Dass Kim Schmitz angeblich eine geladene Waffe hatte. In einem Safe, aber immerhin. Ich vermute, der Dotcom-Dickmann wollte ebenfalls Selbstversorger werden und Flora und Fauna beschützen. Fortsetzung folgt, hoffentlich mit blutigem Happy End.

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Anke Richter ist Wahrheit-Kolumnistin, Buch-Autorin und Mitglied von Weltreporter.net in Neuseeland. Zuletzt erschien von ihr die Auswanderersatire "Was scheren mich die Schafe. Unter Neuseeländern - Eine Verwandlung" (Kiepenheuer & Witsch).

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

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