Aus für den Umweltsurvey

Die Vorzeigestudie in Sachen Giftstoffbelastung der Bevölkerung ruht derzeit, weil sie zu teuer ist. Kritisiert wird auch die Aussagekraft der Daten. Befürchtet wird nun, dass die Umwelttoxikologie international nicht mehr mithalten kann

„Wenn wir keine guten Alternativstudien anfangen, rutschen wir ins Mittelfeld ab“

VON KATHRIN BURGER

Wir sind von rund 100.000 Chemikalien umgeben – ob in Pflanzenschutzmitteln, Verpackungsmaterial oder Kosmetik. Gleichsam hat der Staat die Aufgabe, den Bürger vor Giftstoffen zu bewahren. Dies bewerkstelligt er unter anderem im Rahmen des Humanbiomonitoring (HBM). Dazu zählt der Umweltsurvey aber auch die Humanprobenbank in Münster. Ebenso gewinnen Universitätsforscher in einzelnen Studien Aufschluss über die Schadstoffbelastung der Menschen etwa in „Hot-Spot-Studien“ in Industriegebieten.

Doch wie das staatliche HBM weitergeführt werden soll, darüber wird derzeit gestritten. So ruht der Umweltsurvey, eine vom Umweltbundesamt (UBA) durchgeführte repräsentative Studie, seit 2008. Warum? „Seit Jahren hat man im Umweltministerium das Gefühl, dass hier der Nutzen geringer ist als der Aufwand“, so der Ministerialbeamte Uwe Lahl. „Es wurde viel Geld ausgegeben, und dabei hat man marginale Daten erhalten“, kritisiert auch ein ehemaliger Mitarbeiter des Ministeriums.

Der Umweltsurvey ist in der Tat aufwendig – schließlich sollen die daraus gewonnen Daten repräsentativ für die gesamte Bevölkerung sein und über Jahre hinweg Trends aufzeigen. Die UBA-Wissenschaftler haben deshalb seit Mitte der 1980er-Jahre mehrere tausend Haushalte mit Kindern aus dem Einwohnermeldeamt zufällig ausgewählt, angerufen und besucht.

Den Probanden wurden Blut- und Urinproben abgenommen. Analytiker kamen anschließend ins Haus, sammelten Staub, zapften Trinkwasser ab und machten Angaben zur Wohnsituation, etwa ob jemand in einer Flugzeugschneise lebt. Auch Rauch- und Ernährungsgewohnheiten wurden in Zwei-Stunden-Interviews abgefragt. Schließlich haben Uni-Institute und private Labors die Proben auf verschiedene Giftstoffe etwa Cotinin, ein Abbauprodukt aus Zigarettenrauch, getestet. Feldarbeit und chemische Analytik des Kinder-Umweltsurveys von 2003 bis 2006 hat so rund 2 Millionen Euro verschlungen.

„Doch die Investition hat sich gelohnt“, findet Marike Kolossa, die in den letzten Jahren den Umweltsurvey geleitet hat. „Man kann mit den Surveys Expositionswege zurückverfolgen, weil wir ja auch die Lebensumstände erfasst haben.“ So war ein Ergebnis des Kinder-Umweltsurveys: Kinder, die viel Fruchtsäfte trinken, haben besonders viel Organophosphat von Pestiziden im Blut.

Zudem seien die anfänglichen Schwachstellen abgearbeitet, verteidigt Kolossa ihr Projekt. „Wir publizieren unsere Ergebnisse schließlich in Peer-reviewed-Zeitschriften.“ Über die Entscheidung des Ministeriums ist sie nicht erfreut. „Wenn wir keine guten Alternativstudien anfangen, rutschen wir ins Mittelfeld ab, was das HBM anbelangt“, so die UBA-Wissenschaftlerin. Auch Jürgen Angerer, Umwelttoxikologe in Erlangen meint: „Das ist eine Katastrophe.“

Derzeit soll die Wissenschaftlerin Kolossa mit ihrer Arbeitsgruppe neue Konzepte ermitteln. Eine Idee: Probanden sollen schon in der Schwangerschaft nach der Geburt und im weiteren Verlauf ihres Lebens auf Schadstoffe untersucht werden. „Diese sogenannte Geburtskohorte wäre eine gute Möglichkeit, die Spitzenstellung, die Deutschland in der Ökotoxikologie inne hat, zu halten“, so die UBA-Expertin.

Die Konkurrenz schläft nicht. In USA arbeitet man derzeit an einem ähnlichen Projekt, die „National Children Study“. „Das wäre der Mercedes im Humanbiomonitoring“, meint Kolossa. Bislang hat man in den USA im National Health and Nutrition Examination Survey nämlich lediglich Daten zur Belastung der Bevölkerung zusammentragen, weiß aber nichts darüber, wo die Gifte herstammen könnten.

Parallel zu kleineren Projekten will man sich hierzulande nun vor allem auf Fakten aus der Humanprobenbank in Münster konzentrieren. Dort werden Blut, Haare, Speichel und Urin von Medizinstudenten in flüssigem Stickstoff eingelagert. Man kann damit also auch Trends in der Belastung ablesen. Allerdings kommen 40 Prozent der Medizinstudenten aus Ärztehaushalten. Es werden hier weder verschiedene Altersgruppen noch verschiedene soziale Milieus erfasst.

Ein weiteres Manko: Die Humanprobenbank liefert nur wenige Informationen über Wohnsituation oder Ernährung der Probanden. Gerhard Wiesmüller, Leiter der Humanprobenbank will sich zum Aus der Surveys nicht äußern, mit der Begründung: „Dies ist eine politische Entscheidung, hier will ich mich nicht einmischen.“

Derweil wird auch diskutiert, welche Substanzen die Giftstoffexperten überhaupt im Visier haben sollten. Es kursieren diverse Listen, die besonders gefährliche Substanzen aufzählen, etwa von der EU-Kommission oder dem Arbeitsministerium. Soll man etwa die Gifte untersuchen, die uns in großen Mengen umgeben, sich lieber auf persistente Stoffe fokussieren, die sich kaum abbauen und daher in der Umwelt anreichern, oder die krebserregenden ins Visier nehmen?

Industrievertreter wenden hier ein, dass umweltbedingte Substanzen viel gefährlicher seien, etwa das Verbrennen von Holz im Haus oder Phytohormone aus der Nahrung „Seit zwanzig Jahren wird über diese Listen diskutiert“, so Uwe Lahl.

Zudem gibt es zu zahlreichen künstlichen Stoffen keine Analysemethoden. Darum versucht Lahl derzeit einen Deal mit der Industrie auszuhandeln. Demnach sollten die Chemikalienhersteller etwa pro Jahr für fünf relevante Stoffe Analysemethoden entwickeln, die das Umweltbundesamt schließlich prüfen soll. Einen runden Tisch, an dem Universitäts- und UBA-Forscher sowie Industrievertreter sitzen, gibt es bereits. Unklar ist derweil, wer das wiederum bezahlen soll.