BERNHARD GESSLER STETHOSKOP
: In den Zeiten der Zecke

DIE GEMEINE ZECKE BEVORZUGT WEICHE, DÜNNE HAUTSTELLEN DES SOMMERLICH GEWANDETEN HOMO SAPIENS. DOCH UM SIE WIEDER LOSZUWERDEN, MUSS MIT GROBEN GERÄTSCHAFTEN AUFGEWARTET WERDEN

Herr Doktor, ich wurde von einem Insekt gestochen, es könnte eine Zecke gewesen sein!“, sagt der Patient mit angstgeweiteten Augen. Mit was haben sich Hausärzte eigentlich früher – vor den Zeiten der Zecke – im Sommer beschäftigt?

In Mitteleuropa können durch Zecken vor allem zwei Krankheiten übertragen werden: Die FSME und die (Lyme-) Borreliose. Die FSME ist die gefährlichere, aber – Gott sei Dank – auch deutlich seltenere Erkrankung. Sie ist eine virusbedingte Erkrankung, gegen die es zwar kaum eine Therapie, aber eine effektive Impfung gibt. Da es eine virale Erkrankung ist, wirken hier keine Antibiotika.

Die Borreliose ist eine bakterielle Erkrankung. Sie kann unbehandelt verschiedene Stadien durchlaufen. Stadium I ist eine Hauterkrankung, die um die Einstichstelle eine konzentrisch größer werdende, rötliche Hautveränderung verursacht (das Erythema chronicum migrans), die im Verlauf in der Mitte blasser wird. Im „Idealfall“ sieht sie dann wie eine rötliche Zielscheibe mit weißlichem Kern aus.

In der täglichen Praxis ergibt sich aus einem banalen Zeckenbiss ein Sammelsurium an Fragen und Problemen. Allein die Identifizierung eines stechenden Insektes als Zecke ist oftmals schwierig, vor allem wenn es längst verschwunden ist. Die Entfernung einer Zecke erfordert hingegen militärische Fertigkeiten: Man muss einen Überraschungsangriff starten und die richtigen Waffen besitzen: Zeckenzange – zu schlaff. Klebstoff – Schwachsinn. Pinzetten – mal zu grob, mal die Zecke nur halb zerstörend. Zeckenkarte – Geheimtipp! Und schnell muss man sein, damit die Zecke im Todeskampf ihren Saugrüssel samt Widerhaken nicht noch tiefer in die Haut hineinrammt.

Unklar ist auch der Wahrheitsgehalt der Aussage, dass Zecken ihren Speichel beim Herausziehen – als finale Rache an der Menschheit – in ihr Opfer injizieren. Unvergesslich bleibt mir jedoch eine Joggerin, die einen Kollegen anschrie, er solle die Zecke doch schnellstens entfernen, bevor diese „ihren Dreck in mich reindrückt“.

Zecken bevorzugen warme und dünne Hautstellen, weswegen sie gerne an den Genitalien des Homo sapiens landen: Richtig peinlich war es für mich, als ich eine Zecke am Penis eines Patienten nicht komplett entfernen konnte. Die Gedanken meines chirurgischen Kollegen, zu dem ich den Patienten in meiner Not schließlich überwies, konnte ich förmlich durch das Telefon wabern sehen: „Oh Mann, immer diese unfähigen Internisten!“

■ Der Autor ist Internist in Karlsruhe Foto: privat