„Wer viel Speck hat, kann viel weitergeben“

SCHWER Etwa jedes achte Neugeborene wiegt mehr als vier Kilogramm und gilt damit als übergewichtig. Grund dafür ist meist die Ernährung der Mütter, sagt der Geburtsmediziner Klaus Vetter

taz: Herr Vetter, wer viele Geburtsanzeigen liest, bekommt den Eindruck, dass Babys heute deutlich schwerer zur Welt kommen als noch vor zwanzig Jahren. Stimmt das?

Klaus Vetter: Ja, der Anteil der Neugeborenen, die mehr als 4.000 Gramm wiegen, hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Im Moment beträgt er etwa zwölf Prozent. Statistiken zeigen, dass auch die Quote stärker übergewichtiger Babys steigt. Im Jahr 2004 wogen 72 von 10.000 Neugeborenen mehr als 4.500 Gramm. Im Jahr 2007 waren es schon 117. Ich gehe davon aus, dass sie in der Zwischenzeit noch weiter zugenommen hat.

Gleichzeitig ist der Durchschnittswert, der das Gewicht aller neugeborenen Babys zusammenfasst, längst nicht so drastisch angestiegen.

Der scheinbare Widerspruch ergibt sich einfach dadurch, dass Mittelwerte immer Extremwerte kompensieren. Parallel zu den Geburten von Babys mit einem Körpergewicht von über 4.000 Gramm haben nämlich auch die Mehrlingsgeburten zugenommen, bei denen die einzelnen Kinder naturgemäß kleiner und leichter sind. Aber wenn man sich die Zahlen genau ansieht, gibt es keinen Zweifel, dass die Anzahl schwerer Babys zugenommen hat.

Was sind die Gründe dafür?

Das Geburtsgewicht des Kindes spiegelt in erster Linie den Ernährungszustand der Mutter wieder, sofern die Plazenta richtig funktioniert. Auf gut Deutsch: Wer viel Speck auf den Rippen hat, kann davon auch viel an das Kind weitergeben. Und da Frauen immer später Kinder bekommen – die heutigen Mütter also fast zehn Jahr älter sind als die Mütter vor zwanzig Jahren –, haben sie in vielen Fällen eine größere Fettreserve, die sie ans Kind weitergeben können.

Früher hat man gesagt: Wenn Babys sehr dick sind, muss man untersuchen, ob die Mutter Diabetes hat.

Heute wissen wir, dass Diabetes nur für ein Drittel der übergewichtigen Kinder verantwortlich ist. Die anderen zwei Drittel und damit der wesentliche größere Teil geht auf ein Übergewicht der Mutter zurück, das aus mangelnder Bewegung und schlechter Ernährung resultiert.

Sind große, schwere Neugeborene mehrheitlich auch als Erwachsene groß und schwer?

Diesen direkten Zusammenhang gibt es nicht. Aus einem übergewichtigen Baby kann auch ein Erwachsener mit Normalgewicht werden.

Welche Risiken entstehen, wenn ein Baby bei der Geburt schwerer als 4.000 Gramm ist?

Zu den gefährlichsten Komplikationen bei der Entbindung zählt die Schulterdystokie. Bei einer Schädellage sind der Kopf und die Schultern des Babys entscheidend. Wenn der Kopf schon aus dem Geburtskanal raus ist, kann es sein, dass das Baby mit seinen breiten Schultern im Geburtskanal stecken bleibt. Da sind manchmal schon wenige Millimeter entscheidend. Der Schulterknochen des Babys kann brechen, die Gefahr eines Sauerstoffmangels steigt. Und auch im Beckenboden der Mutter kann das Schäden verursachen, mit Darm- und Blasenschädigungen oder Inkontinenz als Folgen.

Und womit haben große und schwere Babys nach der Geburt zu kämpfen?

Sie haben oft Entwicklungsstörungen, und ihre Größe ist dabei keineswegs ein Zeichen von Reife. Häufig brauchen sie zum Beispiel länger, um krabbeln oder laufen zu lernen.

INTERVIEW: CHRISTIAN ROHM

Klaus Vetter, 64, ist Chefarzt der Klinik für Geburtsmedizin am Vivantes Klinikum Neukölln in Berlin und war von 2004 bis 2006 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe