Sorgen in der Wohlstandsblase

Trotz staatlicher Banken und lokal tätiger Kleinstbetriebe: An Indiens Boomwirtschaft dürfte eine kommende US-Rezession kaum spurlos vorbeigehen. Denn der Geldstrom aus dem Ausland, der den Aufschwung erst ermöglicht hat, wird schwächer

AUS DELHI SASCHA ZASTIRAL

Die US-Bankenkrise erreicht Indien: In den vergangenen Jahren waren immer mehr Anleger den Lockrufen indischer Banken gefolgt und investierten in Aktien. Indiens Boom machte aus rein indischen Konzernen, die vielfach immer noch wie Familienunternehmen geführt werden, Akteure von Weltrang. Ihre Aktienkurse stiegen unaufhaltsam. Doch seit den Meldungen über die Bankencrashs drohen die Errungenschaften der vergangenen zehn Jahre zu Staub zu zerfallen. Denn viele Inder fürchten sogar eine Rezession.

Dabei sei Indiens Bankensystem „weitgehend robust und sicher, verglichen mit der US-Bankenindustrie“, sagt Lokesh Sharma, Wirtschaftsberater aus Bombay. „Das liegt vor allem daran, dass staatliche Banken in Indien einen beherrschenden Teil des Banksystems einnehmen.“ Indien hat zwar sein Bankwesen über die Jahre schrittweise geöffnet; drei Viertel aller Bankgeschäfte spielen sich in Indien aber weiterhin über staatliche Kreditinstitute ab. Eine Zusammenbruch wie in den USA droht somit kaum.

An Indiens Boomwirtschaft dürfte eine kommende US-Rezession jedoch kaum spurlos vorbeigehen. Denn ausländische Investitionen haben den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes erst möglich gemacht. Jetzt dürften diese Gelder, zumindest vorläufig, nur noch langsam ihren Weg nach Indien finden. Auch die IT- und die Serviceindustrie stellen sich auf schwierigere Zeiten ein. Die indischen „Silicon Valleys“ in Bangalore und Hyderabad konnten nur entstehen, weil etliche Konzerne aus den USA etliche Stellen nach Indien ausgelagert haben. Schon gibt es erste Meldungen, wonach Callcenter und IT-Unternehmen vorläufig keine neuen Stellen mehr schaffen möchten. Die Branche wartet ab.

Indiens Aufschwung spielt sich in einer winzigen urbanen Wohlstandsblase ab. Von ihm profitieren im 1,1-Milliarden-Einwohner-Land bislang kaum mehr als 1 Million Menschen. Noch immer fußt Indiens Wirtschaft auf Millionen von Kleinstbetrieben, die für den lokalen Markt produzieren. Neun von zehn Arbeitern sind im sogenannten informellen Sektor tätig, das heißt: Sie arbeiten ohne Versicherungsschutz, ohne staatliche Auflagen und ohne Mindestlöhne. Die weltweite Nachfrage nach den Produkten aus diesem alles dominierenden Sektor hält sich in Grenzen. Daher dürfte eine Verlangsamung von Indiens urbanem Boom durch eine US-Rezession auf die meisten Menschen nur einen geringen Einfluss haben.

Dennoch lösen die Vorgänge in den USA einiges Befremden aus. Denn Indien, das bis in die 90er-Jahre eine hoch regulierte sozialistische Planwirtschaft verfolgte, öffnete seitdem seine Märkte, verkaufte marode Staatsbetriebe und stellte sich unter Hochdruck auf den globalisierten Wettbewerb ein. Das wurde vor allem von den USA bejubelt. Doch jetzt verstaatlichen ausgerechnet die Vereinigten Staaten, das Mutterland des Kapitalismus, einige ihrer angeschlagenen Großbanken und stützen die Branche mit Steuermitteln.

Diese „Hinwendung der USA zum Sozialismus“ löst eine gewisse Schadenfreude aus. Prompt meldete sich Prakash Karat, Generalsekretär der einflussreichen Kommunistischen Partei CPI, zu Wort: „Finanzminister Chidambaram sagte, wir wären vor der Bankenkrise abgeschirmt. Wenn es eine solche Abschirmung gibt, dann haben wir Marxisten dafür gesorgt.“ Denn Indiens Linke habe die vollständige Öffnung des Banken- und Versicherungswesens verhindert und damit ein Überschwappen der Krise verhindert.

Abgesehen davon leidet das Ansehen der USA in Indien trotz der Krise bislang nicht. Denn erst vor wenigen Tagen hat US-Präsident George W. Bush Indien aus der nuklearen Schmuddelecke geholt und zur anerkannten Atommacht gemacht. Unter seiner Führung haben die Atomenergiebehöre IAEO in Wien, die 45 Kernmaterial-Lieferländer und der US-Kongress ein Abkommen abgesegnet, wonach Indien, das 1974 seine erste Atombombe gezündet hat, wieder mit Nukleartechnologie und Brennstäben beliefert werden darf. Premier Manmohan Singh wird dafür gefeiert wie ein Nationalheld, und die USA werden als neuer starker Freund Indiens angesehen.