Brüssel sichert Zukunft der Atomkraft

Die EU-Kommission legt eine Richtlinie für Mindeststandards beim Bau von Atomkraftwerken, der Wiederaufbereitung und der Endlagerung vor. Damit zeigt sie, dass sie in Zukunft mit Atomkraft rechnet. Die Atomlobby ist begeistert – und gut aufgestellt

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Die Klimadebatte bringt Atomstrom zurück auf die Tagesordnung. Auch Brüssel unternimmt einen neuen Anlauf: Vor fünf Jahren schon plante die EU-Kommission ein europäisches Rahmengesetz, das die Sicherheit von Atomanlagen und Mindestanforderungen für die Lagerung von Atommüll in der EU regeln sollte. Brüssel warb mit dem Argument, die EU könne den neu beitretenden osteuropäischen Ländern nicht strengere Atomstandards abverlangen als den Altmitgliedern. Das Thema schien sich von selbst zu erledigen, als mehrere Mitgliedstaaten den Atomausstieg erklärten.

Doch nun hat die EU-Kommission eine Richtlinie für gemeinsame europäische Mindeststandards bei Anlagenbau, Wiederaufbereitung und Endlagerung vorgelegt. Sie orientiert sich an der UN-Konvention über nukleare Sicherheit von 1994, also an bestehenden Prinzipien, soll aber einen sicheren Rechtsrahmen schaffen: Verstöße gegen die Konvention kann die Internationale Energieagentur nicht sanktionieren. Ein EU-Gesetz dagegen ist bindend.

Konkret sieht die Richtlinie unabhängige Regulierungsbehörden vor, „die wirksam von jeder anderen Organisation getrennt sein müssen, die Nuklearanlagen betreiben oder bewerben oder gesellschaftlichen Nutzen daraus ziehen“. Die Kontrolleure sollen die Betreiber von Atomanlagen schon beim Verdacht auf Sicherheitsrisiken zum Abschalten zwingen und ihnen bei „schweren und wiederholten Verstößen“ auch die Lizenz entziehen können. Zudem sollen die Atomkonzerne verpflichtet sein, ausreichend Geld für Sicherheitsbelange bereitzustellen.

Greenpeace kritisiert den Entwurf als kleinsten gemeinsamen Nenner. Kein Land müsse seine Sicherheitsstandards verbessern. „Die EU-Kommission wird von der Nuklearlobby indoktriniert“, glaubt Jan Haverkamp, Atomexperte bei Greenpeace.

Während die EU-Kommission sonst neue Gesetze gern mit großem Getöse präsentiert, versteckte sie die neue Richtlinie am Mittwoch unter einem Stapel von Beschlüssen und Papieren. Und wer sich bei der Tagung des französischen Thinktanks „Confrontations Europe“ im Europaparlament umhörte, fühlte sich in die Zeit vor der Tschernobyl-Katastrophe zurückversetzt.

„Das ist die beste Nachricht des Tages“, jubelte Bruno Lescoeur, Vizepräsident des französischen Stromriesen EDF. „Die Kernkrafttechnologie scheint eine Zukunft zu haben.“ Europaabgeordnete ließen sich bei der Veranstaltung ebenso wenig blicken wie deutsche Energiefachleute. Dabei hätten sie einiges lernen können. Zum Beispiel, dass Deutschland wegen seines Ausstiegsbeschlusses von den Nachbarn bespöttelt wird.

EDF dagegen steht kurz davor, den Atomstromspezialisten British Energy zu kaufen. Klappt der Deal, dann wird EDF der weltgrößte Anbieter von Nuklearstrom. Vier weitere Europäische Druckwasserreaktoren (EPR) sind in den USA geplant, zwei in China – und auch Südafrika will EDF beglücken. Lescoeurs Optimismus scheint ungetrübt, obwohl die beiden EPR, die derzeit in Frankreich und Finnland im Bau sind, weit hinter dem Zeitplan liegen und die Kosten nach einer Pannenserie explodieren.

Auch mit der Sicherheit hapert es. Ginge es nach Yves Kaluzny, einem Direktor der französischen Atomenergiebehörde, sollten sich AKW-Betreiber bei Exporten in Schwellenländer am besten um den gesamten Produktionszyklus kümmern: „Wiederaufbereitung, Endlagerung – alles in einer Hand. Das wäre billiger – und es würde auch verhindern, dass spaltbares Material in die falschen Hände gerät.“