Der Glanz in ihren Augen

WERTIGKEIT In der Krise hat Gold Konjunktur. Eine Investition in den Glauben an Sicherheit

Goldfinger: Dieser „James Bond“ ging als der am schnellsten Geld bringende Film in das Guinnessbuch der Rekorde ein – der Bösewicht in „Goldfinger“ plant, die in Fort Knox gelagerten Goldbestände der USA radioaktiv zu verseuchen, um den Wert seiner eigenen Bestände um ein Vielfaches zu steigern. Sogar das Album mit Shirley Basseys Titelsong „Goldfinger“ wurde vergoldet.

Goldwasser: Das „Danziger Goldwasser“ ist ein klarer, süßer Gewürzlikör, in dem kleine Blattgoldflocken schwimmen. Das Getränk wurde vermutlich bereits im 16. Jahrhundert erfunden. Die Originalmarke „Der Lachs“ wird heute von der Hardenberg-Wilthen AG in Nörten-Hardenberg hergestellt und vertrieben.

Goldener Oktober: Der Monat Oktober wird wegen des Beginns der Verfärbung der Laubblätter häufig als goldener Oktober bezeichnet – weil die gelblichen Blätter so schön im goldenen Herbstlicht schimmern.

Goldene Hochzeit: Sie wird nach 50 Jahren Ehe gefeiert. Gold ist das edelste Metall; so kostbar, glänzend und fest wie die einst mit goldenen Ringen besiegelte Ehe, die so lange gehalten hat.

VON HANNES KOCH

Der Schatz liegt im Keller. Heiko Ganß, 41, der Geschäftsführer des Edelmetallhändlers pro aurum in Berlin, steigt die Wendeltreppe hinunter. Zwei mächtige, fast mannshohe Tresore stehen hier – die 35 Zentimeter starken Stahltüren sind offen. Drinnen auf den Borden liegen sie: die Gold-, Platin-, Silbermünzen und Barren jeder Größe und Herkunft.

Ihr goldenes Geschmeide

Wiegt man eine Goldmünze in der Handfläche, schimmert sie rötlichgolden. Ein gewisses warmes Leuchten scheint von dem südafrikanischen Krügerrand auszugehen. Plötzlich öffnet sich eine alte Welt aus Magie, Mystik und Gedichten. Wie heißt es in Heinrich Heines „Loreley“? „Die schönste Jungfrau sitzet / Dort oben wunderbar / Ihr goldenes Geschmeide blitzet / Sie kämmt ihr goldenes Haar / Sie kämmt es mit goldenem Kamme / Und singt ein Lied dabey / Das hat eine wundersame / gewaltige Melodey“. Kleine, in den arabischen Emiraten geprägte Barren wiederum tragen als Verzierung und Erkennungszeichen die fein stilisierte „Rose von Dubai“. Der australische „Koala“, eine vier Zentimeter große Münze, zeigt vorne den kuscheligen Bär, der sich an einen Ast schmiegt, auf der Rückseite das Profil der englischen Königin Elisabeth II. Gold ist mehr als nur Metall.

Heiko Ganß nimmt einen Ein-Kilo-Barren Gold aus dem Tresor. Seine Maße betragen nur 12 mal 5 mal 0,8 Zentimeter, wegen der hohen physikalischen Dichte des Materials ist er aber erstaunlich schwer. „Legt man den Kunden so einen Goldbarren auf den Tisch, gehen bei ihnen die Mundwinkel hoch“, sagt er.

Deutschland lebt im Goldrausch. An den vorläufigen Höhepunkt vor ein paar Monaten kann Ganß sich bestens erinnern. So einen Ansturm hatte er noch nie erlebt. „Die Leute standen bis auf die Straße. Wir waren nahezu ausverkauft.“ Gold, Platin, Silber, Barren, Münzen, ganz egal, die Käufer schleppten alles raus, was der Edelmetallhandel an der Berliner Hardenbergstraße vorrätig hatte und beschaffen konnte – selbst Granulat, Säckchen mit Gold- und Silberkrümeln, nahmen die Leute mit. Hauptsache, sie gingen nicht leer aus.

Es waren die Tage nach dem 5. Oktober 2008. An jenem Sonntag hatten Angela Merkel und Peer Steinbrück verkündet, dass der deutsche Staat die Spareinkommen der Bundesbürger garantiere. Ab Montag aber passierte das Gegenteil des Beabsichtigten – teilweise zumindest. Die beruhigend gemeinte Zusage von Kanzlerin und Finanzminister machte viele Menschen erst richtig darauf aufmerksam, wie schlecht es um ihre Ersparnisse bestellt sein könnte.

Ein Kunde habe sich erkundigt, so berichtet Ganß, wie viel Zuladung sein Pkw maximal vertrage. Die Auskunft der Autofirma lautete: 650 Kilo würden die Achsen wohl aushalten. Also bestellte der Mann bei pro aurum 650 Kilogramm Silber in Barren und wuchtete sie in den Kofferraum. Er zahlte rund 270.000 Euro.

Ein paar Jahre früher hätte solch ein Kauf nicht mal die Hälfte gekostet. So teuer wie in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise waren Edelmetalle noch nie. Mitte August 2009 kostete eine Feinunze Gold (31,1 Gramm) fast 940 Dollar . Das bisherige Allzeithoch war im März 2008 mit über 1.000 Dollar erreicht. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren musste man für Gold nur etwa ein Drittel bezahlen, vor 30 Jahren weniger als ein Viertel.

Die Krise hat Deutschland zum Goldstaat Nr. 1 gemacht. 2008 haben Anleger hierzulande 108 Tonnen Gold gekauft – mehr als in jedem anderen Land der Welt. Goldshops und Ankaufsstellen seriöser und windiger Art sprießen allerorten. Die Nachfrage scheint keine Grenzen zu kennen.

Das bringt Goldhändler Ganß aber nicht aus der Ruhe. Er ist ein bedächtiger Mann mit etwas schütterem, dunkelgrauem Haar, Mittelscheitel und einem Anflug von Solariumsbräune. Jetzt lehnt er mit der linken Schulter an einem seiner Stahlschränke. Was ihn selbst am Gold fasziniere? Seine Tochter sei zweieinhalb Jahre alt, erzählt er, das Edelmetall solle später als Mitgift dienen. „Vielleicht sagt meine Tochter irgendwann: ‚Papa war ein schlauer Fuchs‘.“ Der Händler hofft, dass die Zeit und der steigende Goldpreis aus seinem kleinen Schatz einen großen machen.

Zum Golde drängt alles

Aber darin soll die ganze Motivation bestehen? Nein, antwortet Ganß und wiegt den Kilo-Barren in seiner Hand: „Gold hat seinen Glanz.“ Und nun überstrahlt sein Gesicht ein glückliches, fast beseeltes Lächeln. In derartige Zustände plötzlicher Verzückung verfallen nicht wenige Menschen, die sich mit Gold beschäftigen. Ist es das, was Goethe meinte, als er schrieb: „Zum Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach, wir Armen!“?

Es ist ein besonderer Stoff, den die Menschen seit mehr als 5.000 Jahren fördern und verarbeiten. Schon die griechische Sage erzählt von der Jagd der Argonauten nach dem goldenen Vlies. Auf der Suche nach Gold begingen die Menschen grausamste Verbrechen. In der Bibel steht das goldene Kalb für Gier und Gottesferne. Und doch ruft Gold auch die genau gegenteilige Vorstellung hervor. So gilt das „goldene Zeitalter“ in der Mythologie als versunkenes Paradies zu Beginn der Menschheitsgeschichte. Zerstörung, Tod, Sehnsucht, Glück: Gold ist ein magisches Material, das die Menschen je nach Lage mit den unterschiedlichsten Wünschen, Hoffnungen und Empfindungen aufladen.

Auch mit Angst und ihrem Gegenteil, dem Bedürfnis nach Sicherheit. Es ist das Sicherheitsbedürfnis, das jetzt in der Krise die entscheidende Rolle spielt. Um ihren Kunden die Vorteile des Edelmetalls zu beschreiben, bedienen sich die Goldhändler eines zentralen Argumentes. „Gold erhält die Kaufkraft“, so Heiko Ganß. Soll heißen: Wer in Gold investiert, entgeht zwei Gefahren. Erstens: Man besitzt ein Zahlungsmittel, das auch dann noch vorhanden ist, wenn die Banken zusammenbrechen. Zweitens: Weil die Regierungen hunderte Milliarden Dollar auf die Märkte werfen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten, nimmt die Kaufkraft der Währungen ab. Ganß: „Der Wert von Papiergeld ist von Inflation bedroht.“ Bei Gold sei das anders. „Durch seinen inneren Wert bietet es Sicherheit“, erklärt der Berliner Geschäftsführer von pro aurum.

Ringe, Halsketten und Ohrringe – es sind Schmuck gewordene Liebesbeweise und Schwüre

Das ist eine starke Behauptung. Aber ist das Edelmetall wirklich so sicher? „Das denkt man ja“, sagt Gerhard Wegner*, der als privater Kunde viel Gold gekauft hat. Der 70-jährige ehemalige Besitzer einer chemischen Reinigung im Berliner Bezirk Neukölln ist zu 90 Prozent überzeugt, dass seine private Investitionsentscheidung richtig ist. Aber es bleibt ein Restzweifel. Als die Finanzkrise ausbrach, haben Wegner und seine Frau Silvia erlebt, dass sie mit „Aktien reichlich Verlust gemacht haben“. Das ist bitter, denn in die Rentenversicherung haben sie früher kaum eingezahlt.

Nun wollen sie richtig handeln. „Ungefähr den Wert eines Audi-Geländewagens“ habe er gegenwärtig in Goldbarren investiert, sagt der Rentner. Macht über den Daumen 100 Feinunzen oder knapp 70.000 Euro. Für Gold hat Wegner sich entschieden, weil er die Angst spürt, dass „die Scheine irgendwann nichts mehr wert sind“.

Inflation des Geldes – dieses Risiko kalkuliert man durchaus ein. Gleiches müsste eigentlich für Gold gelten. Seltsamerweise eilt ihm jedoch der Ruf der Stabilität voraus. Zu Unrecht: Denn seit der sogenannte Goldstandard, der feste Wechselkurs zwischen Dollar und Gold, 1971 zusammenbrach, schwankt der Kurs des Edelmetalls beträchtlich. Anfang der 1980er-Jahre war mit über 800 Dollar pro Unze ein erster Rekord erreicht. Danach setzte eine Entwicklung ein, die Goldbesitzer nur ungern zur Kenntnis nehmen: Der Kurs brach dramatisch ein. Wer Edelmetall teuer erworben hatte, musste abwarten oder es im Extremfall mit zwei Drittel Verlust verkaufen. Der vorläufig niedrigste Wert lag 2001 bei weniger als 260 Dollar. Und jetzt rollt die nächste Spekulationswelle. Verantwortlich dafür sind die Angstkäufer, Spekulanten und Privatinvestoren. Kein gutes Vorzeichen für eine sichere Wertanlage.

Goldschmiedemeister Norbert Strahler, 52, betreibt sein Atelier am Ku’damm. Beste Lage, alteingesessener Betrieb. Außerdem ist Strahler Obermeister der Goldschmiede-Innung, die seit 1555 existiert. Sein weißes Sporthemd weht, sein hellblondes Haar schwebt über der hohen Stirn, die rötlichen Augenbrauen heben sich, als er schwungvoll ein schwarzes Kästchen aus dem Panzerschrank zieht. Wieder dieser Glanz in den Augen, als er sagt: „Die Gestaltbarkeit von Gold weckt tiefe Befriedigung. Seine polierte Oberfläche gleicht einem Spiegel. Es ist beständig und ewig.“

Strahler hebt den Deckel der kleinen Schatzkiste, in der er die schönsten Stücke aus alter Zeit aufbewahrt. „Sie einzuschmelzen wäre zu schade. Da würde mir das Herz bluten.“ Zum Beispiel dieser Biedermeier-Ring aus dem 19. Jahrhundert: ein blauer Saphir, eingefasst von Edelmetallkügelchen. Das schwierige Verfahren des Granulierens beherrschen heute nur noch wenige Juweliere

Preziosen der Vergangenheit werden Strahler jetzt öfter angeboten. Das macht die Krise. Wer Geld braucht, versucht, vom hohen Goldpreis zu profitieren. „Alte Damen kommen zu uns, weil sie die Miete nicht mehr zahlen können“, sagt der Goldschmied. Das ist die eine, die kurzfristige Dimension. Aber es gibt auch die zweite, die Sicht auf die langfristige Entwicklung. „Vor 30 Jahren stand Goldschmuck viel höher im Kurs als heute. Früher trugen die Moderatorinnen im Fernsehen ein Collier, heute zeigen sie nackten Hals.“

Sinkende Wertschätzung

Die kulturelle Bedeutung des Goldes ist nicht statisch, sie schwankt. Das gilt erst recht für historische Zeitspannen. Als die Berliner Goldschmiede ihre Innung im 16. Jahrhundert gründeten, arbeiteten die 23 Handwerker ausschließlich für den Adel und die Kirche. In Berührung mit dem Edelmetall kam überhaupt nur eine sehr schmale Elite. Das änderte sich im 18. Jahrhundert. „Damals begann die Demokratisierung des Goldes“, sagt Strahler. Auch das Bürgertum wollte und durfte Gold besitzen. Indem mehr Menschen Zugang zu dem begehrten Material erhielten, sank allerdings die Wertschätzung, die man ihm entgegenbrachte. Was viele besitzen, ist nicht mehr exklusiv.

Im Laufe der Geschichte nimmt der Wert des Goldes also ab. Das bedeutet auch, dass man sich heute für eine Feinunze Gold weniger kaufen kann als vor 100 Jahren. Anfang des 20. Jahrhunderts beispielsweise bekam man ein Auto mit Verbrennungsmotor, ein revolutionäres Luxusgut, für ungefähr 40 Feinunzen. Heute dagegen erhält man dafür nur noch ein schnödes Mittelklassemodell. Im Vergleich zum durchschnittlichen Lebensstandard hat Gold also massiv an Wert verloren. „Die Kaufkraft des Goldes war früher deutlich höher“, erklärt der Historiker Michael North, Autor des Buches „Kleine Geschichte des Geldes“. „Seine Funktion als Wert- und Kaufkraftspeicher lässt nach.“

Der doppelte Charakter des Goldes – seine abnehmende ökonomische und seine zunehmende magische Rolle – sind nirgendwo besser zu erkennen, als dort, wo der Stoff geschmolzen wird. Die Firma Heraeus in Hanau: Hierhin liefern Juweliere wie Norbert Strahler den alten Schmuck, um ihn für eine neue Verarbeitung als reines Gold zurückzuerhalten. Von hier beziehen Goldhändler wie Heiko Ganß ihre Barren.

Ist es das, was Goethe meinte, als er schrieb: „Zum Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach, wir Armen“?

Bei Heraeus gibt es einen schicken Handelsraum, oval, ockerfarbene Kurven sind auf die Glaswände gedruckt. Die Innenarchitekten haben sich voll ausgelebt. An sechs Arbeitsplätzen mit jeweils vier Bildschirmen können die Händler die Reuters-Ticker verfolgen, die Kurse und die Nachrichten, sie können kaufen und verkaufen. An der Stirnseite zeigen Uhren die Zeit in den Goldmetropolen: New York, London, Hongkong, Hanau, Tokio.

Wolfgang Wrzesniok-Rossbach, 45, ist seit Jahren im Geschäft, früher bei der Dresdner Bank, jetzt bei Heraeus, dem weltweit größten industriellen Goldhändler. Der Leiter für Marketing und Handel hat einen nüchternen Blick auf die Entwicklung. „Lange Zeit war es ein Zahlungsmittel, heute dient es eher der virtuellen Wertaufbewahrung oder nur noch als Sammlerobjekt. Während die psychologische Bedeutung des Goldes als ‚sicherer Hafen‘ zuletzt zunahm“, schwinde seine ökonomische Stellung.

Und tatsächlich: In der Schmelze ein paar hundert Meter entfernt haftet dem Gold gar nichts Besonderes an. Goldschmiedin Stephanie Künesch bringt eine Blechschale voller Ringe, Armbänder, Halsketten und Ohrringe – die Schmuck gewordenen Liebesbeweise, Heiratsversprechen, Schwüre und Spanienurlaube der vergangenen Jahrzehnte. Oben auf dem kleinen Berg liegt ein Kettchen mit güldenen Buchstaben: „Edyta“ hieß die Trägerin.

Hinfort damit! Künesch entleert die Schale in einen schmutzigen, schwarz-grauen Tiegel. „Steckt man im Prozess der Produktion, übt Gold keine besondere Faszination aus“, sagt die 43-jährige Frau, die bei Heraeus das Goldrecycling leitet. „Es ist ein Material wie viele andere.“

Nun bringt das Magnetfeld unter dem Tiegel das Gold zum Schmelzen. Edyta löst sich auf, t und a sind noch zu erkennen, die anderen Buchstaben sind bereits in der gleißend weißen Lava untergegangen. 1.200 Grad, der Höllenbrei spuckt, spritzt, blubbert, und Flammen züngeln heraus.

Aber dann kommt er doch wieder, der magische Moment. Küneschs Kollege hat sich den Hitzeschutzhelm mit dem verspiegelten Visier aufgesetzt, die dicken Handschuhe übergestreift und mit einer meterlangen Zange den glühenden Tiegel gegriffen. Jetzt schüttet er ihn aus. Der goldene Strom ergießt sich in die Graphit-Form, die das flüssige Metall zum Barren zwingt. „Es hat eine wunderbare, warme, orangerote Farbe“, sagt die Goldschmiedin, ihr Gesicht glänzt, „beim Ausschmelzen sieht das Gold doch sehr schön aus.“ * Name geändert

■ Hannes Koch, Jahrgang 1961, ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Zuvor war er Parlamentskorrespondent der taz.