BERNHARD PÖTTER RETTUNG DER WELT
: Bestochene Müllmänner, erpresste Bekannte

Wer umzieht, hat die Chance, mit drastischen Methoden seinen Haushalt zu verschlanken – und sich so in einem interessanten Länder-Ranking zu verbessern

Ein Umzug ist Stress. Die Organisation, der Abschied von den Freunden und vor allem der Krempel, den man plötzlich vor sich hat. Wir hatten schon in Paris dreimal Sperrmüll rausgestellt, alle Bekannten erpresst, Dreiräder und Kinderbücher abzunehmen, und die Müllmänner bestochen, jeden Tag einen kleinen Berg als Wertstoff deklarierten Sondermüll abzufahren. Und trotzdem: Mit einem Container sind wir nach Paris gezogen. Mit zwei Containern kommen wir nach Berlin zurück.

Folgt man der Logik der Konsumgesellschaft, sind wir deshalb jetzt doppelt so glücklich. Tatsächlich sagen Studien, dass Besitz glücklich macht – allerdings nur bis zu einem gewissen Grad. Den haben wir in den Industrieländern schon vor etwa einer Generation erreicht. Seitdem werden wir reicher, aber nicht glücklicher. Eher im Gegenteil.

Mir fiel beim Packen ein Fotoband in die Hände. Der US-Fotograf Peter Menzel hatte vor fast zwanzig Jahren die Idee, in „Material World“ Familien aus allen Teilen der Welt mit all ihrem Hab und Gut abzubilden. Deutschland wird von Familie Pfitzner aus Köln (Mutter, Vater, zwei Söhne) repräsentiert, die vor ihrer Couchgarnitur, der Stereoanlage und den geöffneten Schränken posiert. Für Bhutan etwa geht Familie Namgay (Vater, Mutter, vier Kinder, Enkelkinder, eine Tante und ein Mönch) ins Rennen, die stolz ihre Töpfe, Tassen, Teppiche, Buddhastatuen und Rinder vorzeigt. Mein erster Gedanke war: Zeigen sie die Familien vor oder nach dem großen Ausmisten? Für uns hätte Peter Menzel ein Weitwinkelobjektiv gebraucht.

Zweiter Gedanke: Die Universität Leicester hat vor einigen Jahren eine Rangliste der glücklichen Länder erstellt. Ganz vorn liegt Dänemark (wahrscheinlich wegen der gemütlichen Kiefernholzmöbel), Deutschland auf Platz 35. Aber an Platz 8 (!) steht bereits Bhutan, ein armes Land mit hoher Kindersterblichkeit, wo die Namgays zwar von ihrem Berghof eine atemberaubende Aussicht haben, aber nicht viel mehr.

Da stand ich mitten in 130 Umzugskisten und dachte: Sind sie glücklicher, nicht obwohl, sondern weil sie so wenig haben? Aber Dänen leben ja auch nicht nur von Luft und Liebe. Die Glücksforscher haben nach Gesundheit, Wohlstand und Bildung gefragt – kann da Bhutan besser abschneiden als die Wirtschaftsmacht Deutschland? Und woher weiß Familie Namgay, wie gut es tut, wenig zu besitzen, wenn sie nie viel hatten? Das Vergnügen der Entschlackungskur, die ich seit zwei Wochen mache, kennen sie wohl nicht.

Der alltägliche Kram ist nicht so unschuldig, wie er tut. Krempel wächst nicht auf Bäumen. Plastikspielzeug, alte Kassettenrecorder, ungetragene T-Shirts und die fünfte Teflonpfanne schleppen einen gewaltigen ökologischen Rucksack mit sich herum. Mein täglicher Kleinkrieg gegen den Killerkrempel geht also weiter. Und ich fühle mich sogar schon ein bisschen besser. Das wird an den geschätzten fünf Kubikmetern Zeugs liegen, die wir in Paris gelassen haben. Oder daran, dass wir allein durch unseren Umzug laut Ranking knapp 30 Plätze glücklicher geworden sind: Statt Platz 62 (Frankreich) sind wir nun auf Platz 35.

Der Autor ist Journalist und Krempelentsorger Foto: privat