Mit dem Dreck kommt das Arsen

UNGARN Greenpeace hat den aus der Aluminiumfabrik ausgetretenen Schlamm analysieren lassen. Das Ergebnis ist vernichtend. Die Regierung bittet die EU nun um finanzielle Hilfe

Unbewohnbar und über Jahrzehnte für Landwirtschaft ungeeignet

AUS WIEN RALF LEONHARD

Nach der ätzenden Schlammlawine kommt das vergiftete Trinkwasser. Eine Analyse des letzten Montag ausgetretenen Rotschlamms, der mehrere Ortschaften in Westungarn verwüstete, wurde Freitag in Wien von Greenpeace präsentiert. Sie ergab Arsenwerte, die um das Doppelte über den Erwartungen lagen, und eine hohe Quecksilberbelastung.

110 mg Arsen und 1,3 mg Quecksilber pro Kilogramm Trockenmasse stellten ein langfristiges Risiko für die Ökosysteme und das Trinkwasser dar, wie der Chemiker Herwig Schuster, Kampagnenleiter bei Greenpeace Österreich, warnte. Die Messungen einer am Dienstag entnommenen Schlammprobe wurden parallel am österreichischen Bundesumweltamt in Wien und am Bálint Analitika Labor in Budapest vorgenommen. Schuster schätzt aufgrund dieser Werte, dass mit rund einer Million Kubikmeter Rotschlamm 50 Tonnen Arsen, 300 Tonnen Chrom und 500 Kilogramm Quecksilber aus dem Staubecken der Aluminiumfabrik MAL im Bezirk Veszprem, rund 165 Kilometer südwestlich von Budapest, ausgetreten seien.

Arsen, so die Erläuterungen von Greenpeace, ist hochgradig wasserlöslich. Das für Menschen, Tiere und Pflanzen giftige Schwermetall dürfte bald ins Grundwasser der betroffenen Region eindringen. Es wirkt sich auf das Kreislauf- und Nervensystem aus und bewirkt Hautkrebs. Die Konzentration von Quecksilber in unberührten Flusssedimenten liegt bei 0,4 mg/kg. Die im Katastrophengebiet gemessene Konzentration kann vor allem über Fische in den menschlichen Organismus gelangen und Nervensystem, Gehirn und Herz angreifen. Schuster hält daher die verseuchte Gegend von mindestens 4.000 Hektar für unbewohnbar und auf Jahrzehnte für die Landwirtschaft ungeeignet.

Auch für die Donau kann keine Entwarnung gegeben werden. Messungen vom Donnerstagnachmittag an der Raab, kurz bevor sie bei Györ in die Donau mündet, ergaben einen pH-Wert von 9 gegenüber dem Normalwert von 6,5. Die pH-Skala, so Schuster, sei logarithmisch. Ein Wert von 9 liegt also um das Zehnfache über dem Wert von 8 und hundertmal höher als 7. Ob tote Fische, die in der Donau treiben, dort verseucht wurden oder bereits in der Raab verendeten, könne man nicht sagen. Das ungarische Labor stellte bei der Analyse des Wassers aus einem kleinen Kanal in Kolontár einen Arsengehalt von 0,25 Milligramm pro Liter fest: das ist das 25-Fache des Grenzwertes.

Greenpeace hofft, dass Ungarns Regierung durch die Auswertung der Schlammproben unter Zugzwang kommt und nicht nur konkrete Pläne für die Umsiedlung der betroffenen Bevölkerung vorlegt, sondern auch die Rotschlammbecken anderer Aluminiumwerke kontrolliert. Die langfristige Gefahr, so Schuster, dürfe nicht weiter heruntergespielt werden: „Es darf nicht sein, dass die Opfer nicht wissen, was auf sie zukommt.“

Die Regierung von Viktor Orbán hat insofern reagiert, als sie sich am Freitag erstmals an die EU-Staaten wandte. Noch am Donnerstag hatte der EU-Skeptiker vollmundig erklärt: „Ungarn ist stark genug, um diese Krise selbst zu meistern. Wir brauchen keine ausländische Finanzhilfe.“ Wenig später bat er um die Entsendung von Experten und finanzielle Hilfe. Günter Liebel vom Umweltministerium in Wien zeigte sich erstaunt über „die späte Einsicht. Österreich hat am ersten Tag schon Experten angeboten.“ Schuster fragt sich zudem, wohin der giftige Schlamm transportiert wird. Das nächste halbwegs sichere Depot liege „irgendwo in Westeuropa“.