Mit Vollgas in die Vergangenheit

ENERGIEVERSORGUNG Was kommt heraus, wenn Deutschlands Energiemanager zwei Tage über das Kraftwerk der Zukunft reden? Neues wohl kaum. Aber immerhin wollen sie nicht noch mehr Atomstrom

Wer Milliarden investiert, will Rechtssicherheit, keine Demos und keine Klagen

VON INGO ARZT

Fatih Birol trug der deutschen Energiewirtschaft das Scheitern des internationalen Klimaschutzes so trocken und präzise vor, wie ein Schaffner verpasste Anschlusszüge ansagt. Der türkische Wirtschaftswissenschaftler und Chefökonom der Internationalen Energieagentur (IEA) war der erste Referent des zweitägigen Symposiums „Die Zukunft der Kraftwerke“, zu dem das Magazin Focus einflussreiche Energiemanager nach Berlin geladen hatte. „Wir werden das Zwei-Grad-Ziel auf keinen Fall erreichen, wenn wir die Maßnahmen der Staaten zusammenzählen“, sagte Birol und meinte damit den maximalen durchschnittlichen Anstieg globaler Temperaturen, dessen Auswirkungen als gerade noch beherrschbar gelten. Birol ist kein Ökoaktivist, er will Atomkraft ausbauen und verantwortet mit dem jährlichen Weltenergiebericht die global einflussreichste Publikation zum Thema Energieversorgung.

In der Prognose der Industriestaatenorganisation OECD steigt der globale Energiebedarf bis 2035 um mehr als ein Drittel – im optimistischen Fall. Decken sollen ihn Hunderte neuer Kohlekraftwerke, vor allem in China. Um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, müsste der globale Ausstoß an Kohlendioxid bis 2020 ein Maximum erreichen – und dann sinken. Nach heutigen Hochrechnungen steigt er weiter munter an. Wie wenig Einfluss Europa darauf hat, zeigt Birol an einer simplen Rechnung: Momentan hat sich die EU verpflichtet, bis 2020 20 Prozent weniger Klimagase in die Atmosphäre zu blasen. Das kostet circa eine Billion Euro. In der Diskussion war auch schon mal gewesen, den CO2-Ausstoß in dieser Zeit um ein Drittel zu bremsen, falls sich auch China und die USA verbindliche Ziele geben. Allein die 10 Prozentpunkte mehr veranlassten Teile der Wirtschaft, EU-Kommission und das deutsche Wirtschaftsministerium, vor der Deindustrialisierung des Kontinents zu warnen. Diese Diskussion zeigt, wie schwer derzeit in Europa noch mehr Klimaschutz durchsetzbar ist. Und Birol rechnet vor, wie lächerlich die Größenordnung ist, um die es dort geht: 10 Prozent weniger CO2 in der EU, das bläst China 2020 in zwei Wochen in die Luft.

Alles für die Katz also? Birols Antwort ist nichts Neues, er weist Europa die Rolle eines Vorbilds beim Energiemix zu. Leider haben die Manager mit dem größten Einfluss dazu wenig beizusteuern. Johannes Lambertz etwa, Chef der RWE Power AG, spricht von der Zukunft konventioneller Kraftwerke und davon, dass der Strompreis für notwendige Investitionen in Kohle und Gas zu niedrig sei. Erneuerbare Energien dagegen seien unzuverlässig: Um ihren von Windstärke und Wolkendicke abhängigen Strom zwischenzubunkern, bedürfe es zu vieler Stromspeicher – also müssten konventionelle Kraftwerke die Lücke weiterhin schließen.

Eine Idee oder gar einen durchgerechneten Plan eines der großen Energieunternehmen, wie dieser Zustand mittelfristig geändert werden könnte, bringt keiner der versammelten Manager von Eon, RWE oder Vattenfall mit. Stattdessen lautet der Tenor: Fossile Kraftwerke sind weiterhin nötig – als gebe es den Energieplan der Regierung nicht, nach dem bis 2050 mindestens 80 Prozent der Energie in Deutschland regenerativ zu erzeugen sind.

10 Prozent weniger CO2 in der EU – das bläst China in zwei Wochen raus

Ähnliches gilt für die Atomkraft. Für OECD oder IEA ist sie nicht Problem, sondern Teil der Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel. Ernst Michael Züfle, Chef der Vattenfall Europe Nuclear Energy, sieht einen Dreiklang aus sauberer Kohle, Ausbau von erneuerbaren Energien und dem Ausbau der Atomenergie als Säulen der künftigen Energieversorgung.

Neuen Atomstrom für Deutschland jenseits der Laufzeitverlängerung der bestehenden Meiler preist allerdings niemand an. Was auch daran liegt, dass ein solches Investment hierzulande wegen der ablehnenden Haltung der Bevölkerung als riskant gilt. Wer Milliarden investiert, braucht sichere Rahmenbedingungen, keine Demonstrationen und Klagen. Vorbild für Entwicklungsländer wird Europa so jedenfalls nicht. Tröstender Gedanke: Ob der globale Energiehunger tatsächlich so wächst, wie von der IEA prognostiziert, dahinter setzt die Organisation selbst ein Fragezeichen.