MATTHIAS STÜHRWOLDT GRÜNLAND
: Von Schlachtern und Schlagern

Bett geklaut, Braut entführt: Eine Dorfhochzeit ohne Tradition und Spanferkel? Unmöglich

Zwanzig Jahre ist es in diesen Tagen her, dass Birte und ich geheiratet haben. Sie war einundzwanzig, ich dreiundzwanzig Jahre alt, und alle, wirklich alle erklärten uns für verrückt. Allen voran meine Eltern.

Als wir ihnen von unserem Plan erzählten, glaubten sie uns einfach nicht. Sie hielten ihn für einen (schlechten) Scherz. Das Schlimmste für sie war, dass Birte weder Ländliche Hauswirtschaft gelernt hatte noch von einem Bauernhof kam. Nach einem lautstarken Streit – meine Mutter rief: „Ihr habt ja noch nicht einmal einen Stuhl zusammen gekauft!“ – wurde nicht mehr darüber geredet, Birte und ich latschten zum Standesamt und bestellten das Aufgebot.

Ein paar Tage später, als unsere Hochzeit im Schaukasten des Standesamtes öffentlich angekündigt wurde – das war damals so –, wurden meine Eltern auf dem Stolper Dorffest von Bekannten auf das bevorstehende freudige Ereignis angesprochen. Mein Vater sagte nur: „Das stimmt nicht!“ Und Birte und ich, wir heirateten. Trotz allem. Oder gerade deswegen.

Birte sagt noch heute, dass der Tag der Hochzeit der schlimmste Tag ihres Lebens war. Wir wollten eine Fete für alle. Kein Polterabend, keine Familienfeier. Einfach draußen tanzen, sonst nichts.

Es wurde ein Fest der Kompromisse. Als meine Eltern eingesehen hatten, dass wir es ernst meinten, luden sie nachmittags zum Kaffee ein, und abends bestanden sie darauf, dass der örtliche Schlachter auf unserer Party ein Spanferkel zersäbelte. Später wollte ich meiner Tante zuliebe einen Schlager auflegen, und Birte drohte mir – nach zehn Stunden Ehe – erstmals mit Scheidung.

Birtes Onkel zündete statt des Lagerfeuers unseren Brennholzvorratsstapel für den Winter an und legte beinahe den Hof in Schutt und Asche. Birtes Brüder entführten die Braut, ich kannte diesen Brauch nicht (meine Hochzeit war die erste Veranstaltung dieser Art, die ich besuchte) und kriegte stundenlang nichts davon mit. Als ich Birte in der damals noch nicht abgefackelten Dorfkneipe endlich fand, warf sie mir zum ersten Mal einen Blick zu, der körperlich wehtat. Irgendwann war das Fest schließlich zu Ende, und wir wollten ins Bett. Aber man hatte es gestohlen. Und einige hundert Meter weiter im fast reifen Rapsfeld wieder aufgebaut. Wir waren entzückt.

In einem waren Birte und ich uns einig: Unsere Hochzeit war so furchtbar, das wollten wir unmöglich noch einmal erleben. Um nicht in Versuchung zu geraten, beschlossen wir, einfach zusammenzubleiben.

Seit zwanzig Jahren hält das nun. All unsere älteren Brüder heirateten nach uns, sind längst geschieden, zum Teil neu verheiratet, manche leben in wilder Ehe. Bei all den Patchworkfamilien um uns herum schäme ich mich manchmal fast dafür, fünf Kinder mit nur einer Frau zu haben. Wie konnte das passieren? Bin ich so langweilig?

Übrigens, nicht alle fanden unser Hochzeitsfest so schlimm wie meine Eltern und wir selbst. Neulich erst sagte eine Freundin, unsere Hochzeit sei die erste und einzige gewesen, auf der sie zu „London Calling“ von The Clash getanzt habe. Das habe sie uns niemals vergessen.

Jetzt ist es wieder so weit. Wir feiern unseren Hochzeitstag mit einer großen Fete für alle. Kein Schlachter und kein Schlager. Wir wollen einfach draußen tanzen, sonst nichts.

Der Autor ist Biobauer in Schleswig-Holstein. Foto: privat