Wachstum ohne Grenzen

UMWELT Seit 1997 soll das Kioto-Protokoll den Klimawandel bremsen. Doch die meisten Staaten stoßen mehr Treibhausgase aus als je zuvor. Und die Welt hat sich grundlegend verändert.

Jetzt, wo der Winter in Washington naht und es schon geschneit hat, kann ich in meiner Wohnung wieder barfuß und kurzärmelig herumlaufen. Die Hausverwaltung hat die Klima-Anlage umgestellt. Die Temperatur in meinen vier Wänden ist von unterkühlt auf überhitzt gestiegen.

Im Hochsommer, wenn das Thermometer in Washington auf über 30 Grad Celsius klettert, schlüpfen viele Leute wegen der auf kalt gestellten Klimaanlagen in der Wohnung dagegen in warme Pantoffeln.

In der Hauptstadt des Landes, wo jeder Einzelne durchschnittlich viermal so viel Kohlendioxid pro Jahr freisetzt wie ein Chinese, ist die Klimakatastrophe trotzdem kein ernstes Thema. Nur eine Glaubensfrage. Unter anderem haben dafür republikanische Präsidentschaftskandidaten gesorgt, die den Klimawandel als „Gerücht“ und „Lüge“ bezeichnen. Und sie versprechen, so sie gewählt werden, die Umweltbehörde abzuschaffen.

Damit klimatisch alles so bleiben kann, wie es ist, hat die Mehrheit der Abgeordneten im Repräsentantenhaus im September verboten, dass die Nationale Ozean- und Atmosphäre-Behörde einen zentralen „Klimadienst“ einrichtet. Eine solche Informationsstelle, plus einer dem nationalen Wetterdienst vergleichbaren Webseite, würde Gefahr laufen, eine „Propagandaquelle“ zu sein, hat Ralph Hall aus Texas es begründet. Der Republikaner ist Vorsitzender des Kongressausschusses für Wissenschaft, Raumfahrt und Technologie.

Für das globale Klima ist das nicht gut. Aber für die Energieerzeuger lohnt es sich. An der Klimaanlage in meiner Wohnung gibt es weder einen „Off“-Schalter noch einen Zähler. Die Versuchung, Strom zu sparen, kommt da erst gar nicht auf.DOROTHEA HAHN

Von Jana Petersen, Bernhard Pötter und Stefanie Weber (Grafik)

Von Trockenheit und Dürre in Zentralafrika keine Spur. Hier bringt der Klimawandel Wolkenbrüche und Dauerregen mit Überschwemmungen und Erdrutschen. Ob in Uganda, Ruanda oder der Demokratischen Republik Kongo – egal wo ich in den vergangenen Monaten hinreise, es schüttet wie aus Eimern. Die Trockenzeit, die zwischen Juli und September herrschen soll, ist ausgefallen. Im August war es zudem extrem kalt, weil der Himmel von dicken Regenwolken verhangen war. In Uganda trugen die Menschen Jacken und Mützen. Ein Junge aus der Nachbarschaft lief gar mit einem Schneeanzug herum, der wohl über die Kleiderspende in Afrika gelandet war.

Die Regengüsse haben extreme Auswirkungen auf die ohnehin marode Infrastruktur. Die Straße vor meinem Haus in Kampala wurde fast komplett weggeschwemmt. Ich komme mit meinem Auto nicht mehr aus der Hofeinfahrt heraus. Der kleine Bach durch den nahen Sumpf ist nun eine reißender Strom, der mit Plastikflaschen, Plastiktüten und anderem Zivilisationsmüll verdreckt ist. Neulich ist ein Schwein darin ertrunken und lag aufgedunsen am Ufer. In den bergigen Landschaften kam es zu Erdrutschen, Menschen und Tiere wurden getötet, Häuser zerstört, Maisfelder vernichtetet.

In Kinshasa, wo ich mich derzeit aufhalte, hat der Regen die Stadt, in der 10 Millionen Menschen leben, in den vergangenen 24 Stunden komplett lahmgelegt. Die Straße zwischen Flughafen und Stadtzentrum ist überschwemmt und unbefahrbar. Die Menschen trauen sich schier nicht mehr aus dem Haus, weil die Pfützen zu tief sind, Minibusse und Taxen ohnehin nicht fahren. Wer läuft schon gern stundenlang im strömenden Regen zur Arbeit? Simone Schlindwein

Die Zahlen zeigen es: Den Klimawandel verursachen eigentlich nur eine Handvoll Staaten wie China, die USA, die EU-Länder, Russland, Japan und Indien. Trotz aller Absichtserklärungen und Verträge entließen fast alle Staaten der Welt 2007 (dunkles Feld) mehr Treibhausgase in die Atmosphäre als zum Zeitpunkt der Klimarahmenkonvention 1990 (helles Feld). Insgesamt liegen die weltweiten Emissionen heute etwa bei 48 Milliarden Tonnen Kohlendioxid oder anderer Klimagase, mit weiter stark steigender Tendenz. Mittelfristig gelten unter Wissenschaftlern etwa 44 Milliarden als vertretbar, um den Klimawandel noch kontrollieren zu können. Bisher ist die globale Mitteltemperatur um knapp ein Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit gestiegen, in den Polgebieten zum Teil deutlich mehr.

Nur wenige Länder haben ihre Emissionen überhaupt verringert vor allem Russland durch den Zusammenbruch der Industrie. Die relativ guten Werte Deutschlands gehen auf das Ende der DDR-Industrie, die Verlagerung von energieintensiver Produktion in Schwellenländer und auf die deutsche Klimaschutzpolitik zurück.

Jeder Tag in Russland beginnt mit einer leidenschaftlichen Erörterung des Wetters. Mal ist es zu kalt, mal zu heiß. Vom Klimawandel ist aber selten die Rede.

Im Sommer 2010 schaffte es die globale Erwärmung dann doch in die Medien. Eine Hitzewelle setzte ganze Landstriche in Brand und hüllte Moskau in eine Rauchwolke. Die Menschen rangen nach Luft. Selbst den zahlreichen Klimaskeptikern in Russland verschlug es die Sprache. Sie mussten sich der Frage stellen, ob am Klimawandel doch etwas dran sei. Der galt bis dahin als übliche Übertreibung des Westens, mit der man der Energiemacht die Geschäfte vermiesen will. Hartnäckig hielt sich der Mythos: Würde es wärmer, könnte das frostige Russland nur profitieren. Man müsste weniger Geld für Pelze und Heizung ausgeben.

Die Veränderungen sind indes in Russland gravierend. Zwischen 1990 und 2000 stieg die Durchschnittstemperatur um 0,4 Grad. Bis 2015 soll sie laut hydrometeorologischem Dienst um weitere 0,6 Grad steigen. Registriert wurde auch eine jährliche Zunahme von Naturkatastrophen um 6,3 Prozent. Hurrikans, Hochwasser und Orkane könnten sich bis 2020 gar verdoppeln.

Welche ökonomischen und sozialen Folgen die Verschiebung von Landschaftszonen nach sich zieht, muss noch untersucht worden. Klarer sind die Folgen der abtauenden Permafrostböden, die 67 Prozent der Landesfläche bedecken. Die dadurch freigesetzten Gase werden den Treibhauseffekt verstärken. Zunächst nimmt aber die Infrastruktur Schaden. Straßen, Häuser, Pipelines versinken in sumpfigen Böden. Dabei warnte schon der Philosoph Konstantin Leontjew vor hundert Jahren: „Russland muss man ein bisschen einfrieren, damit es nicht verwest.“

Klaus-Helge Donath

Die Grafik zeigt indes nur die absoluten Werte. Sie berücksichtigt nicht die historischen Emissionen der Industrieländer, mit denen diese in den letzten hundert Jahren ihren Reichtum begründet und die Atmosphäre aufgeladen haben. Sie zeigt auch nicht die extremen Unterschiede beim CO2-Ausstoß pro Kopf: Ein US-Bürger steht für etwa 18 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr, ein Inder nur für 2 Tonnen.