Verlangen nach Exklusivität: China importiert Italien

Nirgends wächst die Sehnsucht nach Luxus so schnell wie im Reich der Mitte. Die neue Elite erfüllt sich Träume im eigenen Land – und baut gleich ganze Städte nach.

Das Original: die Piazza San Marco in Venedig.

FLORENTIA taz | Puccini erklingt über der Piazza San Marco, Türmchen und Bögen im italienischen Stil spiegeln sich im Kanal, das Kapitol ruht in der Herbstsonne. "Florenz gefällt mir gut", sagt die Pekingerin Li Xiao und greift fest nach ihrer Papiertasche mit dem Logo einer amerikanischen Schuhmarke. Eine Szene, wie man sie schon tausendmal gelesen zu haben glaubt.

Nur dass diesmal Florenz nicht in Italien liegt. "Florentia Village" oder auf chinesich "Foluolunsa" ist ein Einkaufsparadies auf ehemaligen Maisfeldern und einem ehemaligen Industriepark in der kargen nordostchinesischen Landschaft.

Es ist ein Ort für Chinesen, die von einem Einkaufstrip durch Europas Nobelgeschäfte träumen – und erstaunlich schnell zu erreichen: Nur zwanzig Minuten braucht der Hochgeschwindigkeitszug vom Pekinger Südbahnhof, ebenso kurz dauert die Fahrt von der Hafenmetropole Tianjin.

Florenz in Chinas Provinz: Ein italienisch-amerikanisch-chinesisches Konsortium hat sich sein Klein-Italien auf rund 60.000 Quadratmetern beim Örtchen Wuqing geschaffen, mit Piazzen, Kanal, Gondeln und Kolonnaden. Es gehört zu den fantasievollen Projekten in- und ausländischer Investoren, die China eine große Zukunft als Luxusmarkt voraussagen.

Im ganzen Land entstehen derzeit solche "Malls", wie die Einkaufszentren nach amerikanischem Vorbild bezeichnet werden. "Hundert Prozent Luxuswaren, hundert Prozent Rabatthimmel" versprechen Werbeplakate und Leuchtbildschirme, auf denen ein Michelangelo-Jüngling in Jeans, die Einkaufstüten in der Hand, in die Ferne starrt.

Neben sogenannten "Outlets", die Mode der vergangenen Saison mit kräftigem Abschlag verkaufen, bieten Boutiquen wie "Celine" und "Armani" neue Kollektionen an, zu Preisen wie in Europa und Hongkong. Allerdings: Von den "200 Markengeschäften", die das Investorenkonsortium bei der Eröffnung im Juni angekündigt hatte, haben erst ein paar Dutzend ihre Tore geöffnet.

Geschäft mit dem Luxus

Beim britischen Herrenausstatter Brooks Brothers jedenfalls herrscht gemäßigter Andrang. Ein junger Vater aus Tianjin probiert ein beigefarbenes Jackett an, während sich sein vierjähriger Sohn Song Peiling Fußballvideos auf seinem iPad anschaut: "Für eine berühmte Marke und garantiert echte Ware", sagt Herr Song, "zahlen wir gern auch etwas mehr." Vom chinesischen Florenz hat er durch das Internet erfahren.

Mit der Sehnsucht nach internationalem Flair, sozialer Anerkennung und dem Gefühl von Exklusivität lässt sich derzeit in China viel Geld verdienen: In keinem anderen Land der Welt ist das Geschäft mit dem Luxus so schnell gewachsen wie hier. Nach einem Bericht der US-Finanzmakler Goldman Sachs haben Chinesen bereits im vergangenen Jahr mehr Luxusgüter gekauft als Amerikaner.

Das Schmuckhaus Tiffanys will nach eigenen Angaben in den nächsten fünf Jahren mindestens 25 Filialen in China eröffnen – zusätzlich zu den bislang existierenden 15 Geschäften. Auch der deutsche Juwelier und Uhrenhändler Wempe liebäugelt mit dem China-Geschäft. Allerdings stehen derzeit vielerorts große Einkaufsparadiese weitgehend leer, Investitionsruinen wegen zu harter Konkurrenz.

So rasant sich die Wirtschaft entwickelt hat, so schnell ist auch die Zahl der "Goldkragen" gewachsen, wie die neue Elite sich nennt, die ihr Geld mit dem Verkauf von Immobilien, mit High-Tech und in der Finanzwelt gemacht hat. Hinzu kommen die Kohle- und Stahlbarone aus den Provinzen und die sogenannten Prinzen, deren Eltern in der KP und in den Staatsbetrieben Karriere gemacht haben.

Über eine Million Chinesen besitzen heute jeweils mehr als 10 Millionen Yuan, das sind umgerechnet über 1,1 Millionen Euro. Es sind die Gewinner des "Sozialismus chinesischer Prägung", der nicht nur einen beispiellosen Wohlstand, sondern auch große gesellschaftliche Ungleichheit hervorgebracht hat: Nur 1 Prozent der 1,34 Milliarden Chinesen sitzt laut der Weltbank auf mehr als 41 Prozent der Vermögen.

Gleichzeitig gibt es nach laut Weltbank in China 150 Millionen Arme. Nach offiziellen Berechnungen leben 128 Millionen Chinesen, rund 7,7 Prozent der Bevölkerung, in absoluter Armut. Sie haben pro Tag nicht mehr als 75 Eurocent zum Leben.

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