In Brasilien gibt es so viele Arbeitssklaven wie noch nie

AUSBEUTUNG Farmen oder Baufirmen verweigern tausenden Arbeitern Mindestlohn und Hygiene

BUENOS AIRES taz | In Brasilien beschäftigen so viele Betriebe wie nie zuvor Arbeiter unter sklavenartigen Verhältnissen. Auf der „schmutzigen Liste“, die das Arbeitsministerium jetzt veröffentlichte, stehen die Namen von 294 Arbeitgebern, 52 mehr als im vergangenen Jahr.

„Nie zuvor hatten wir so viele irregulär Beschäftige wie gegenwärtig“, sagt Alexandre Rodrigo Teixeira vom Arbeitsministerium. Er meint nicht die normalen informellen Arbeitsverhältnissen in Südamerika, sondern die sogenannte schmutzige Liste der „Sklavenhalter“, die sein Haus seit 2005 zweimal jährlich veröffentlicht. Kamen die schwarzen Schafe bisher vor allem von Zuckerrohrplantagen, findet man heute auch immer mehr große Baufirmen aus den Städten. Am meisten betroffen sind die Bundesstaaten Pará und Mato Grosso.

Als menschenunwürdig gelten Jobs, bei denen der Mindeststandard an hygienischen Voraussetzungen am Arbeitsplatz und in den Unterkünften nicht erfüllt wird. Auch wer den gesetzlichen Mindestlohn von 622 Reais – umgerechnet etwa 260 Euro – nicht zahlt, wird auf die Liste gesetzt. Nach Angaben des Arbeitsministeriums wurden auf diese Weise seit 2005 rund 30.000 Menschen aus sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen befreit, davon allein über 2.000 Personen in 230 Betrieben im vergangenen Jahr.

Die Firmen, die auf der schmutzigen Liste stehen, erhalten von den Staatsbanken keine Kredite. Alle Firmen werden vor einer Zusammenarbeit mit ihnen gewarnt und ihre Produkte von den Unternehmen boykottiert, die sich zu einem Pakt gegen Sklavenarbeit zusammengeschlossen haben. Wer von der Liste gestrichen werden möchte, muss die arbeitsrechtlichen Bedingungen erfüllen und die Geldbußen (2011 rund 2,2 Millionen Euro) zahlen.

Noch vor wenigen Tagen hatte die Regierung verkündet, Brasilien habe Großbritannien vom sechsten Platz der Weltrangliste verdrängt und werde bis 2015 auf den fünften Platz klettern. Die sozialen Verhältnisse zeigen jedoch die Kehrseite der boomenden Wirtschaft. Nur 10 Prozent der Bevölkerung verdienen 44,5 Prozent des gesamten Einkommens. 17,7 Prozent der rund 190 Millionen Brasilianer gelten offiziell als arm. JÜRGEN VOGT

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