Proteste im Wendland: Ausflug ans Gleisbett

Tausende Berliner sind zu den Anti-Castor-Protesten ins Wendland gereist. Viele beteiligen sich am Schottern - nicht nur junge Menschen, sondern auch ein 71-Jähriger.

Auch wenn diese Frage immer noch nicht mit "nein" beantwortet wird, hat der Transport zumindest einiges an Verspätung. Bild: dpa, Philipp Schulze

Es ist schon wieder dunkel und kalt, als am Sonntagabend die Schotterer aus den Wäldern in ihr Zeltlager nach Köhlingen zurückkehren. Ihr wohl ältester Mitstreiter versorgt sich erst Mal mit wärmender Vokü, Gemüsesuppe. "Ganz in Ordnung" sei es gelaufen, sagt Herbert Thiel*, 71-jähriger Kreuzberger. Zwar sei er zum Schottern an die Gleise gelangt, den Castor hat er damit aber nicht aufgehalten.

Atomkraft sei eigentlich nicht sein Thema, sagt Thiel. Momentan beschäftige er sich eher mit Community Gardening. Aber nachdem Schwarz-Gelb den Atomkonsens aufgekündigt habe müsse jetzt Widerstand geleistet werden. "Und zwar effektiv."

Ausgerüstet mit Bauhandschuhen und grauer Wollmütze hat sich Thiel am Sonntag um fünf Uhr morgens bei Minusgraden in einer 200-köpfigen Schotterergruppe auf den Weg gemacht. Wie neun andere Großtrupps zieht sie kilometerweit durch Wälder und matschige Pferdekoppeln zu den Gleisen, auf denen wenig später der Castor nach Dannenberg rollen soll. Polizisten werden abgeschüttelt, und irgendwann auf einem Feld ist die Lücke da: Gemächlich, aber zielstrebig, klettert Thiel immer wieder kurz ins Gleisbett, wühlt Schottersteine beiseite. Natürlich habe er Angst vor der Polizei gehabt, sagt er kurz darauf. "Aber ich hatte wohl einen Altersbonus." Er sei blessuren-frei durch den Tag gekommen.

Thiel ist einer von vielen Berlinern, die sich bei den Großprotesten im Wendland tummelten. Max Ludwig*, 24-jähriger Student und Aktivist der linksradikalen Gruppe Avanti, steht zwischen den 30 weißen Großzelten und zwei blau-roten Zirkuszelten im Camp Köhlingen. Mehrere hundert Berliner sind hier untergekommen. Es ist das Camp für Castor-Protestler aus dem Norden der Republik. Für die Radikaleren. Köhlingen ist das Schotter-Camp, inoffiziell.

Max Ludwig ist zum ersten Mal im Wendland. Seit Monaten war er an den Protestvorbereitungen beteiligt, koordinierte Fahrten von Berlin ins Wendland. 22 Busse seien allein über seine Koordinationsgruppe abgefahren, sagt Ludwig, mit über 1.500 Berlinern. "Am Ende hätten wir noch fünf Busse mehr füllen können." Viele andere sind privat, per Zug oder mit Bussen der Grünen oder Umweltgruppen ins Wendland gereist. Sie bevölkern am Samstag die Groß-Kundgebung in Dannenberg oder beteiligen sich an Sitzblockaden, einige auch noch am Montag.

"Der Klimakonflikt ist eine der zentralsten Fragen heute", sagt Neu-Castor-Protestler Ludwig. Darum sei er hier. Beeindruckend sei die Vorbereitung, die penibel geplante Organisation der Proteste gewesen. Vor allem der Schotterer. "Das habe ich so noch nirgends erlebt." Tatsächlich hält der Aktionskonsens der Schotterer am Sonntag. Keine Eskalation - Ziel sind die Gleise, nicht Polizisten. In den Wäldern wird immer wieder kurz gehalten, um sich über das weitere Vorgehen abzustimmen. Als die Schotterer die Schienen erreichen, teilen sie sich in zwei Gruppen auf: Der "Schutz" - gepolstert mit Heu und Schaumstoff unter den Jacken, mit Planen und Luftmatratzen - hält die Schlagstöcke der Polizisten ab, während die anderen schottern. Auf Signal wird sich wieder in die Wälder verstreut, um Festnahmen zu entkommen.

"Hinter dem heutigen Tag steckt monatelange Vorbereitung", sagt Jens Friedrich von der Berliner "Interventionistischen Linken". Seit zehn Jahren engagiert er sich gegen Castor-Transporte, diesmal als einer der Organisatoren des Schotterns. Viele Gruppen, die sich bisher anderen Themen gewidmet hatten, hätten das Wendland neu für sich entdeckt, sagt Friedrich. "Da haben sich neue Bündnisse geschmiedet, die künftig zusammen Einiges bewegen werden."

Werner Fink, 51 Jahre, bis vor 15 Jahren Kreuzberger, dann Allgäuer, gehört zu den gestandeneren Schotterern in Köhlingen. Eine neue Qualität hätten die Castor-Proteste diesmal gehabt, sagt Fink. Viele "Alte", die er noch aus Kreuzberg kenne, habe er jetzt wiedergesehen - nachdem man seit Jahren nichts mehr politisch zusammen gemacht habe. Und: "Viele sind inzwischen mit ihren Kindern da, der Protest geht in die nächste Generation."

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