Berliner Debatte um Sarrazin, Stadtkewitz, etc: Darf's ein bisschen rechter sein?

Sarrazin, Stadtkewitz, "Pro Berlin" - haben sie Chancen, eine neue Partei neben der CDU zu formieren? Parteinforscher und Integrationsexperten sind sich uneins, genauso wie im Umgang mit den Sarrazin-Thesen

René Stadtkewitz, Ex-CDUler, will eine neue rechte Partei gründen Bild: dpa

Der eine - Thilo Sarrazin - hat angeblich 18 Prozent im Rücken, will aber keine Partei gründen. Der andere - René Stadtkewitz - will, hat aber noch nichts außer ein paar Anhängern, die gegen seinen Rauswurf aus der CDU-Fraktion protestierten. Und dann buhlen da noch die Rechtspopulisten von "Pro Berlin" um Stimmen. Echte Erfolschancen für eine mögliche neue Partei bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 aber lassen sich daraus offenbar nicht ableiten. Experten sehen zwar ein Potenzial, halten aber weder Sarrazin noch Stadtkewitz für charismatisch genug.

Derzeit scheinen neurechte Thesen Konjunktur zu haben: Nach einer Umfrage vom Wochenende würden 18 Prozent der Wählerschaft für eine Sarrazin-Partei stimmen. In einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage stimmen bundesweit sogar 61 Prozent Sarrazins Thesen zumindest teilweise zu. Nur 22 Prozent halten sie für inakzeptabel. Der bisherige CDU-Abgeordnete Stadtkewitz - ausgeschlossen, weil er den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders einlud - hatte angekündigt, eine eigene Partei zu gründen. Seine Begründung: "Die CDU will mich nicht mehr, was soll ich da machen?"

In dieser Situation sieht der FU-Parteienforscher Oskar Niedermayer eine Vielzahl wertkonservativer Wähler, die in der CDU nicht mehr ihr Wertesystem - etwa bei Familie und der Rolle der Frau - vertreten sehen. Hier wäre theoretisch Raum für eine neue, wertkonservative Partei. Die würde laut Niedermayer bei einer Berliner Wahl allerdings "weit weniger" als jene 18 Prozent erreichen, die die Umfrage einer Sarrazin-Partei zuschrieb. Der Leiter des Beratungsteams "Ostkreuz" für Demokratieentwicklung, Carl Chung, hingegen hält bis zu 20 Prozent für möglich.

Für Niedermayer ist die Diskussion rein theoretisch, weil weder der Ex-Senator noch der Ex-CDUler charismatisch genug seien. Zudem ließen sich bis zum Wahlkampf kaum noch die nötigen finanziellen, organisatorischen und personellen Grundlagen schaffen.

Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, kann hingegen kein konkretes Potenzial für eine neue rechte Partei erkennen. Jene zitierten 18 Prozent hätten nicht fest vor, eine Sarrazin-Partei zu wählen - sie seien lediglich gefragt worden, ob sie sich das vorstellen könnten. Deshalb sei der Wert zu relativieren. Denn: "18 Prozent können sich auch vorstellen, die Horst-Schlämmer-Partei zu wählen", erinnerte Güllner an die Parteienparodie von Komiker Hape Kerkeling. Anders als Niedermayer sieht Güllner auch kein echtes Vakkum rechts der CDU. Er erkennt vielmehr ein "Vertrauensvakuum", einen überall anzutreffenden Unmut.

Und noch einer rät dazu, den Ball flach zu halten. Günter Piening, Integrationsbeauftragter des Senats, stellt zwar fest, dass "Umfragen und Tonart der Sarrazin-Debatte einem ein bisschen Angst und Bange machen können". Letztlich seien die Umfragen aber "eher ein Medienhype, als dass sie reelle Entwicklungen spiegeln." Das Potenzial der Unzufriedenen sei viel zu heterogen, als dass sich daraus eine feste Gruppe formieren könnte.

Deutlich unterscheiden sich die Positionen auch hinsichtlich des Umgangs mit Sarrazins Thesen. Niedermayer und Chung fordern die Parteien auf, die Integrationsdiskussion offen zu führen. "Wenn die Öffentlichkeit den Eindruck hat, dass da etwas tabuisiert wird, macht man das Tor für populistische Demagogen auf", sagte Chung der taz. Piening wiederum hielte es für gefährlich, genau so eine Diskussion führen: "Wenn sich Parteien öffnen für rassistische Debatten, dann machen sie diese Stimmungslage hoffähig."

Selbst wenn sie wollte, könnte die CDU nicht schnell auf ein Vakuum am rechten Rand reagieren. Sie hat erst im Frühjahr ein für Unionsverhältnisse liberales Integrationspapier beschlossen. Forderungen nach doppelter Staatsbürgerschaft konnten sich zwar nicht durchsetzen. Aber es hatten auch Stimmen keine Chance, die Kopftuchtragen als verfassungsgefährdend festschreiben oder aus dem Integrations- ein Rückwanderungspapier machen wollten. Ein U-Turn wäre das Ende schwarz-grüner Koalitionsspiele.

Für die SPD wiederum geht um die Grundsätze ihrer Integrationspolitik. Da hatte die Partei zu Jahresanfang einen Perspektivwechsel vollzogen: Integration sei "keine Frage von Migranten mehr", hatte Klaus Wowereit vollmundig mitgeteilt, "sondern von sozialen Milieus". Die SPD wolle "Integration neu denken". Nun muss die Partei sich überlegen, ob sie sich von Sarrazin zwingen lassen will, diesen Standpunkt wieder aufzugeben.

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