50 Jahre Bummi: Der Bär in Frauenhand

Im Osten kennt sie jeder: Bummi, den Kuschelbären, und die gleichnamige Kinderzeitschrift. Für die Chefredakteurin ist sie zum Lebensinhalt geworden.

Die aktuelle Bummi Bild: Verlag

Kein leichtes Vermächtnis hatte die Mutter ihr da hinterlassen: Sabine Drachsel erbte einen Bären. Ein gelbes, flauschiges Tatzentier mit schwarzen Knopfaugen und runden Ohren, die immer offen für die Nöte anderer sind. "Bummi" heißt das gutmütige Tier, fast jedes Kind der DDR ist mit ihm und seinen Geschichten aufgewachsen. Noch heute klingt den meisten das Lied im Ohr: "Kam ein kleiner Teddybär / aus dem Spielzeuglande her " Es gehörte zum Standardrepertoire jedes realsozialistischen Kindergartens. Der Kultbär spielt die Hauptrolle in der Zeitschrift Bummi, und die sollte Sabine Drachsel 1990 ins vereinte Deutschland hinüberretten. Sie hat es geschafft und das Magazin vor dem Schicksal bewahrt, das fast die gesamte DDR-Presse ereilte: in der Zeitschriftenflut des Westens unterzugehen.

Am Sonntag feiert Bummi seinen 50. Geburtstag im Theater an der Parkaue in Lichtenberg. Um 11 Uhr und um 16 Uhr gibt es eine Bühnenshow mit Musik der Kinderliedermacher "Ulf & Zwulf".

Versteckt in einem Hinterhof in Prenzlauer Berg ist die Redaktion in einem roten, zweistöckigen Flachbau zu Hause. Vor den großen Fenstern stehen Tretautos, eine junge Frau schiebt einen Kinderwagen über den Hof. Im Trendviertel für junge Familien hat Sabine Drachsel die Zielgruppe vor der Tür. Von einer Pädagogin, die für Kinder schreibt, hat die schlanke Frau mit den langen dunklen Haaren wenig. Dezent geschminkt, mit Perlenohrringen und Anzughose sieht sie aus wie eine Unternehmerin. Und das ist sie ja auch. Sie hat es geschafft, dass derzeit monatlich 88.000 Hefte an die drei- bis sechsjährigen Leser verkauft werden.

Sabine Drachsel kennt Bummi seit ihrer Kindheit. Ihre Mutter Ursula Böhnke-Kuckhoff erfand ihn 1957. Als der Bär das Licht der Märchenwelt erblickte, war die Tochter schon geboren, ihr genaues Alter will die Frau mit der leisen Stimme jedoch nicht verraten. Allabendlich lauschten sie und ihre vier Geschwister den Bummi-Geschichten der Mutter. "Ich wusste immer, dass meine Mutter die Geschichten schreibt, trotzdem habe ich ihr Geschenke für Bummi mitgegeben." Die Mutter dachte sich nicht nur die Geschichten aus, sie leitete auch die Redaktion bis 1990.

50 Jahre ist Bummi jetzt geworden. Dass sie die Wende überlebt hat und die älteste Vorschulzeitschrift auf dem deutschen Markt ist, liegt für die Chefredakteurin an der Treue der alten Leser. "Wir haben uns nicht verdreht. Vieles wie das Märchenbuch zum Raustrennen gibt es immer noch. Das haben uns die Leser von früher gedankt." Die kaufen Bummi jetzt für ihre Kinder oder Enkel. Doch Nostalgie allein reicht nicht. Im Gegensatz zu Bussi Bär oder Benjamin Blümchen wird das Bummi-Heft fast vollständig von Hand illustriert. "Wir wollen keinen banalen Computerstyle, und auch bei den Inhalten wollen wir Kindern keine glatte heile Welt vorgaukeln". So gibt es neben Mal- und Spielseiten auch die "Kindersonnenseite": Dort wird etwa die Geschichte von Mirko erzählt, der im Rollstuhl sitzt, oder Bummi tröstet Jessi, die immer so schüchtern ist. Wenn Sabine Drachsel erklärt, dass Bummi so gutmütig ist, dass sich die Kinder ihm anvertrauen, klingt es, als spreche sie von einem realen Freund. Auch die kleinen Leser scheinen das so zu empfinden: Sie und ihre Eltern schreiben so viele Briefe, dass es eine Angestellte gibt, die nur die Post beantwortet.

Für die aufwändig gestalteten Seiten und den engen Kontakt zu den Lesern benötigen die Mitarbeiter viel Idealismus und müssen von kleinen Honoraren leben. Alle 15 Autoren und Illustratoren arbeiten frei von zu Hause aus. Festangestellte gibt es bei Bummi nicht, auch Sabine Drachsel ist selbstständig. Das Unternehmen gehört ihr allerdings nicht: Zu DDR-Zeiten erschien das Heft im Zeitschriftenverlag Junge Welt, nach dessen Abwicklung durch die Treuhand kaufte der Pabel Moewig Verlag 1991 das Blatt.

Dass die Tochter den Job der Mutter erben sollte, war anfangs nicht geplant. Etwas mit Kunst machen wollte sie als junge Frau. Dieses Faible merkt man Drachsel heute noch an, wenn sie mit der Hand über die Illustrationen streicht und genau erklärt, welche Maltechniken die Illustratorin verwendet. Für eine Kunsthochschule fand sie sich und ihr "Hobbygetusche" zu schlecht. Sie wird Lehrerin für Kunst und liebt diesen Beruf. 1984 erkrankt sie jedoch so schwer an Krebs, dass sie ihn nicht mehr ausüben kann. Drachsel schaut auf ihre Hände und spielt mit dem silbernen Ring, über diese Zeit redet sie nicht gern. "Plötzlich war alles vorbei. Ich dachte, jetzt kommt nur noch der Tod."

Wer kam, war ihre Mutter. Die stand neben dem Krankenhausbett, sah sie an und sagte: "Hier wird nicht gestorben, hier wird gearbeitet!" Den ersten Schreibauftrag für Bummi legte sie ihr, mit Abgabetermin versehen, auf den Nachttisch. Von da an schrieb Sabine Drachsel die Elternseiten des Heftes. Als ihre Mutter in Pension ging, wurde sie Chefredakteurin. Das war anfangs schwierig, mit der starken Mutter im Hintergrund. "Wir haben schon gestritten, über neue Inhalte oder darüber, dass ich Fotos ins Blatt nehmen wollte", sagt sie vorsichtig. Aber mit dem Alter sei die Mutter milder geworden - und mische sich nicht mehr ein.

Bären im Regal

Auch wenn Ursula Böhnke-Kuckhoff die Tochter nun machen lässt, das Schreiben für die Bummi wird die 80-Jährige so schnell nicht aufgeben. Die Geschichten über den Teddy entstehen in ihrer Wohnung in Glienicke am Nordrand Berlins. Eine kleine Frau mit wachen Augen und festem Händedruck öffnet die Tür. Der entschlossene Gesichtszug um die schmalen Lippen ist der gleiche wie bei ihrer Tochter. Sie hat sich schick gemacht: Über der weißen Bluse trägt sie ein weißes seidenes Schaltuch mit schwarzen Punkten. Jede Menge Bären tummeln sich in dem großen Bücherregal, zwischen einer Shakespeare-Gesamtausgabe und Simone de Beauvoirs "Das Alter". Einem mit Holzwolle gefüllten Steiff-Bär ähnelt Bummi auf den ersten Ausgaben der Fünfzigerjahre. "Da war er noch richtig kuschelig, heute sieht er fast aus wie ein Plastikbär", sagt Ursula Böhnke-Kuckhoff wehmütig. Aber die Zeiten seien ja jetzt auch anders, schiebt sie hinterher. Der Bär sieht nicht nur anders aus, er hat auch ein neues Zuhause. Lange lebte er in Glienicke. In den Geschichten wurde der Ort zu "Gliensdorf", die Bürgermeisterin Schmidt zu "Frau Schmiedel" und der Arzt Knappe tauchte als "Doktor Knippe" auf. "Die Leute waren immer total gespannt, wen ich im nächsten Heft verarbeite", sagt die Bummi-Erfinderin und streicht sich die langen schwarz getönten Haare aus dem Gesicht. Kurz nach der Wende ließ sie den Bären ins Märchenland Huxliplux umziehen. Als wolle sie ihm dieses neue, große Deutschland nicht zumuten.

Auch Ursula Böhnke-Kuckhoff scheint ihre geistige Heimat verloren zu haben. Eine Heimat, für die sie sich bewusst entschieden hat: 1927 in Charlottenburg geboren, schicken ihre Eltern sie während des Krieges zu einer Tante ins fränkische Bad Kissingen. Dort lernt sie eine Gruppe Antifaschisten kennen und weiß sofort: "Da muss ich mitmachen. So einen Krieg darf es nie wieder geben." Als überzeugte Kommunistin kehrt sie nach Berlin zurück, lebt in Charlottenburg und beginnt 1947 in der sowjetisch besetzten Zone als Redakteurin beim Zeitschriftenverlag Junge Welt. 1953 siedelt sie, alleinstehend mit zwei Kindern, in die DDR über. "Die DDR war ein Versuch, mehr Gerechtigkeit in der Welt zu schaffen, daran wollte ich ich teilhaben." Vier Jahre später hat der Verlag erstmals ein Papierkontingent über. Gemeinsam mit Pädagogen, Ärzten und Illustratoren entwickelt Ursula Böhnke-Kuckhoff die Vorschulzeitschrift Bummi, pädagogisch wertvoll und politisch nützlich sollte sie sein. "Damals konnte der Bummi die Kinder noch wirklich erreichen, heute hat er zu viele Mitspieler wie Fernsehen, Computer und Comics", sagt die Bummi-Mutter. Auch wenn sie in der DDR nicht alles gutgeheißen hat, das wiedervereinigte Deutschland ist für sie keine wirkliche Alternative.

Das geht der Tochter anders. Wenn Journalisten ihrem Schützling immer noch das Ost-Label aufdrücken, wird sie wütend: "Die Wende ist fast 20 Jahre her!" Die ideologische Färbung des Magazins ist verschwunden. Erzählte Bummi früher von Helden der Arbeit und verlieh goldene Orden an Schornsteinfeger und Kindergärtnerinnen, erklärt der Teddy den Kindern heute, dass es zu Weihnachten keine großen Geschenke gibt, weil die Eltern keine Arbeit mehr haben. Bummi darf jetzt auch nichtsozialistische Länder bereisen und erzählt den Kindern von langen Wintern in Schweden und der Regenzeit in Brasilien. Verschwunden sind die Panzer zum Puzzeln und die Heldengeschichten von Soldaten, die das Land gegen den bösen Westen verteidigen. "Den erhobenen Zeigefinder von damals gibt es bei uns nicht mehr", sagt Sabine Drachsel.

Ärger mit der Fahne

Einen solchen Zeigefinder kann die Mutter auch im Nachhinein nicht sehen, hinter dem damaligen Konzept steht sie nach wie vor. Eine Marionette des System war sie nie. "Es gab fürchterlichen Ärger, wenn wir das DDR-Emblem auf der Fahne vergessen hatten, aber sonst waren wir viel zu unwichtig, um streng kontrolliert zu werden". Bei einer Auflage von 750.000 Exemplaren ist das kaum vorstellbar. Eine Oppositionelle war sie nie, sondern Mitglied in der SED, hoffte aber in den 80ern wie viele ihrer Genossen auf eine vernünftigere Riege, wenn die alten Machthaber in Rente gingen. Auf weniger Bürokratie. Erst wenn man nachfragt, wird klar, dass sie mit "Bürokratie" auch die Stasi meint. Heute ist sie Mitglied der Linkspartei, aber nur mit halbem Herzen. "Ich bin nicht überzeugt von dem, was die tun, aber wir brauchen in Deutschland eine Linke als Gegengewicht."

Böhnke-Kuckhoff versteht sich immer noch als Kommunistin; damit die Gräuel des Krieges nicht vergessen werden, schreibt sie die Biografien von Widerstandskämpfern auf. In ihrem letzten Buch erzählt sie die Lebensgeschichte ihrer Jugendliebe Gerd-Armin Kuckhoff, Sohn des Widerstandskämpfers Adam Kuckhoffs, der wegen Mitgliedschaft in der "Roten Kapelle" 1943 in Plötzensee hingerichtet wurde. Mit ihm hatte sie die Nachkriegsjahre in Berlin verbracht und ihn dann aus den Augen verloren. Er arbeitete lange als Rektor der Theaterhochschule in Leipzig. Als ihr erster Mann - 1965 hatte sie ihn geheiratet - schon einige Jahre tot war, machte sie sich 1997 auf die Suche nach ihrer ersten großen Liebe. Sie fand ihn am Bodensee und verliebte sich erneut. 2000 heirateten die beiden, da war sie 73, er 88 Jahre alt. Zwei Jahre später starb er. "Die zwei schönsten Jahre meines Lebens", sagt sie leise und schaut aus dem Fenster.

Auch auf die Zeit davor blickt Ursula Böhnke-Kuckhoff zufrieden zurück: "Ich hatte immer diese wundervolle Arbeit." Ihr Lebenswerk ist jetzt auch zu dem der Tochter geworden. Und die beiden Frauen sind nicht die einzigen Bummi-Affinen in der Familie. Sabine Drachsels Tochter studiert Kunst und illustriert für die Zeitschrift, eine ihrer Nichten schreibt für die Elternseiten. Drachsel denkt noch lange nicht ans Aufhören. Aber sollte es einmal so weit sein, bleibt der Bär vielleicht auch dann in den Händen der Frauen der Familie.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.