Polizei gegen Sitzblockaden: Der unmittelbare Zwang

Luft abdrücken, an den Haaren ziehen, ins Gesicht schlagen: Bei Räumungen von Sitzblockaden ist die Polizei nicht zimperlich. Aber darf sie das auch? Experten erklären die Rechtslage.

Der Polizeieinsatz gegen die Sitzblockade am Rathaus Schöneberg am vergangenen Samstag Bild: apn

Die Sitzblockade war spontan. Als bekannt wurde, dass einige Mitglieder von Pro Deutschland in einem Café warteten, setzten sich gut 50 Demonstranten davor auf den Bürgersteig, um den Weg zum Rathaus Schöneberg zu blockieren. Auf der Straße standen weitere Gegendemonstranten. "Wir sitzen friedlich da, dann sind gleich 10 bis 20 Polizisten auf uns losgegangen", erzählt Dirk Stegemann, Sprecher des Bündnisses, das am Samstag die Proteste gegen den Bundesparteitag der Rechtspopulisten organisierte. Die Beamten zerrten Einzelne aus der Blockade. "Direkt vor mir wurde einigen ins Gesicht geschlagen", sagt Stegemann. Ihm selbst sei ohne Vorwarnung aus kürzester Distanz Pfefferspray ins Gesicht gesprüht worden. Ein Blockadeteilnehmer habe im Krankenhaus behandelt werden müssen. "Der Polizeieinsatz war völlig überzogen und unverhältnismäßig", bilanziert Stegemann.

Dass Teilnehmer von Blockaden oder Demonstrationen das ruppige Vorgehen der Polizei kritisieren, liegt auf der Hand. Aber was ist tatsächlich verhältnismäßig? Grundsätzlich dürfen Polizisten Gewalt anwenden. Das Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwangs (UZwG) erlaubt "unmittelbaren Zwang" durch körperliche Gewalt, Gewalt durch Hilfsmittel wie Fesseln, Reizgas, Hunde, Pferde oder Wasserwerfer sowie durch Waffen. Allerdings dürfe stets nur die Maßnahme gewählt werden "die den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigen".

"Reden ist das beste Einsatzmittel", sagt ein Polizeiausbilder. Das habe etwa die Blockade gegen die NPD-Demonstration am 1. Mai gezeigt. Da hatte sich Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) aus Protest auf die Straße gesetzt - und war nach gutem Zureden seitens der Polizei wieder aufgestanden. "Aber wenn es Widerstand aus der Blockade gibt oder Beleidigungen, dann greift man doller zu", erklärt der Ausbilder. Dafür gebe es ein Einsatztraining, bei dem Beamten etwa die Hebelwirkung bestimmter Griffe beigebracht wird, mit denen sie Widerstand brechen können. Das Ziehen an Ohren oder Nasen gehöre aber nicht zur einfachen körperlichen Gewalt, meint der Ausbilder. Auch dass Beamte - wie auf Videos von anderen Blockaderäumungen zu sehen ist - ihre Hand auf Nase und Mund eines Demonstranten legen, um ihm die Luft abzudrücken, hält der Ausbilder für nicht angebracht: "So soll es erst mal nicht sein."

Vor allem bei rein passivem Widerstand sei die Polizei "ganz extrem an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" gebunden, ergänzt Oesten Baller. Letztlich sei es immer eine Frage der Abwägung, sagt der Professor für Polizei- und Ordnungsrecht am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement der Hochschule für Wirtschaft und Recht. Macht ein Blockadeteilnehmer seinen Körper starr, dürfe die Polizei fester zugreifen. Hakt er sich bei anderen Blockierern unter, dürfe ein Polizist ihm etwa die Hände umbiegen oder im Einzelfall auf die Hände schlagen, meint Baller. Selbst das Ziehen an den Haaren würde wohl vor Gericht durchgehen. Der Einsatz von Pfefferspray aus kurzer Entfernung jedoch sei eher unverhältnismäßig. Und Luftabdrücken gehe gar nicht.

Überhaupt geht der Professor davon aus, dass die Polizei bei Blockaden nicht ohne Weiteres eingreifen dürfe. "Wenn sich etwa Demonstranten auf einer angemeldeten Route befinden, warum sollen sie sich da nicht hinsetzen?", fragt Baller. Selbst bei unangemeldeten Spontanprotesten auf einer Kreuzung müsse die Polizei eine angemessene Zeit, etwa 15 Minuten, warten, bevor sie zur Auflösung auffordere. Erst wenn die Leute dann noch blieben, könne die Polizei mit der Räumung beginnen.

"Schwierig wird es, wenn man mit einer Blockade eine andere Versammlung verhindern will", sagt Baller. Er persönlich vertritt zwar die Auffassung, dass etwa die Blockade der NPD-Demo am 1. Mai rechtmäßig gewesen sei, weil die Rechtsextremisten aktiv Grundprinzipien des Grundgesetzes bekämpfen und die Blockierer gleichsam die Werte der Verfassung schützen. Das würden aber Polizei und viele Juristen anders sehen.

Wenn ein Polizist grob unverhältnismäßig vorgehe, habe der Demonstrant sogar das Recht auf Notwehr, sagt Baller. Zwar wird Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bestraft, doch im Strafgesetzbuch heißt es auch: "Die Tat ist nicht strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist." Das sei zwar schwer zu belegen, weiß Baller, aber es habe durchaus Fälle gegeben, bei denen Demonstranten vor Gericht recht bekommen hätten.

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