INTERVIEW ZUR BERLIN-WAHL: "Deutlich machen, wofür die SPD steht"

Der Berliner Juso-Vorsitzende Christian Berg über alte Konzepte und neue Ideen, über Vaterfiguren und andere Lichtgestalten der Sozialdemokratie - und darüber, warum er nicht SPD wählen wird.

Christian Berg, Berliner Juso-Vorsitzender. Bild: Oliver Gaida

taz: Herr Berg, hat der Vorsitzende der Jusos am Vatertag an die SPD gedacht? Das ist doch die Partei der Vaterfiguren.

Wenn es eine Vaterfigur in der SPD für mich gibt, dann ist es Willy Brandt. Er hatte politische Konzepte und den Mut, diese umzusetzen, obwohl sie zu ihrer Zeit gesellschaftlich keine Mehrheiten hatten und sogar in der Partei selber nicht populär waren; die aber langfristig wichtigen gesellschaftlichen Wandel auslösten. Das vermisst man, wenn man heute in der SPD nach Vaterfiguren sucht.

War Brandt ein Grund für Sie, in die SPD einzutreten - sind Sie überhaupt in der SPD?

29, studiert Politik- und Verwaltungswissenschaften und engagierte sich lange hochschulpolitisch. Seit 2010 ist er Landesvorsitzender der Jusos in Berlin.

Ich bin in der SPD, aber es war nicht Willy Brandt, sondern Gerhard Schröder, wegen dem ich eingetreten bin. Allerdings in Opposition zu ihm und der Agenda 2010.

Beim Blick auf die SPD Berlin vor der Wahl - was finden Sie da noch von Willy Brandts Mut?

Was ich jedenfalls nicht finde, weder in Berlin noch im Bund, ist ein visionärer Entwurf, der über das Heute hinausgeht. Stattdessen sehe ich alte Konzepte, eine politische Vergangenheit - Stichwort: Agenda -, von der man zwar festgestellt hat, dass Fehler gemacht wurden, die aber dennoch nicht aufgearbeitet wird. So kann man dann auch nicht sagen, wo es hingehen soll. Es fehlt in der Frage der Wohnungspolitik, der sozialen Spaltung in der Stadt die Vision für ein solidarisches Berlin. Rhetorisch mag sie da sein, aber sie in konkrete Politik zu gießen, dazu fehlt der Mut.

Wer sind denn die Lichtgestalten in der Berliner SPD?

Man braucht vielleicht nicht unbedingt Lichtgestalten in der Politik. Bräuchte man sie, sähe es im Moment aber düster aus. Wowereit ist tatsächlich derzeit der einzige Politiker in der Berliner SPD, der Charisma hat und ein bisschen über den Tag hinaus denkt - manchmal. Das Durchschnittsalter der SPD-SenatorInnen ist 64, Wowereit ist der einzige unter 60 Jahren. Da stelle ich mir die Frage, ob die Lebensrealitäten in dieser jungen Stadt noch wahrgenommen werden können in so einem Senat.

Wo ist der Nachwuchs?

Wir Jusos sind da und haben auch Leute, die innerhalb der Partei gute Arbeit machen. Es geht nicht darum, Jung und Alt gegeneinander auszuspielen. Aber viele Jusos erfahren am eigenen Leib, dass wir in Berlin ein massives Wohnungsproblem haben. Vom Senat hören wir trotzdem immer nur, es gebe keine Wohnungsnot. Wenn man sich die Zahlen und die Proteste rund um die Veröffentlichung des Mietspiegels anschaut, dann kann ich mich als Senat nicht hinstellen und behaupten, wir hätten einen entspannten Wohnungsmarkt. Das passiert, wenn man die Wohnungspolitik dem freien Markt überlässt. Aber es gibt Alternativen.

Und die haben die Jusos?

Ja: Aufstockung des öffentlichen Wohneigentums, die Wiedereinführung der Zweckentfremdungsverbotsverordnung, Immobilienspekulationen verhindern, und vielleicht muss man als Ultima Ratio auch über Enteignungen nachdenken. Vieles davon sind Maßnahmen, die bis vor zehn Jahren in dieser Stadt auch umgesetzt wurden, die man aber heute nicht mehr anpacken möchte.

Warum nicht?

Zwischendurch war der Wohnungsmarkt entspannter. Aber das ist vorbei, und das meine ich: Es geht darum, die sich verändernden Realitäten in dieser Stadt wahrzunehmen. Da sind wir wieder bei Willy Brandt und seinem Satz, dass jede Zeit ihre eigenen Antworten braucht. Leider findet die SPD solche Antworten gerade in substanziellen Fragen heute nicht mehr.

Wie offen sind die Türen für die Ideen der Jusos?

Ich glaube schon, dass wir Jusos wahrgenommen werden. Wir haben uns im Wahlprogramm an manchen Stellen mit unseren Analysen durchgesetzt.

Wo etwa?

Zum Beispiel mit der Analyse, dass soziale Spaltung in dieser Stadt Realität ist. Das artikuliert die SPD im Tagesgeschäft zwar nicht, aber im Wahlprogramm haben wir das untergebracht. Darauf müssen jetzt aber auch Taten folgen: etwa die Einführung der Lernmittelfreiheit oder die Verbesserung der Wohnungssituation für BezieherInnen von Transferleistungen. Die werden durch Auflagen der Jobcenter an den Stadtrand gedrängt. Dem müsste der Senat viel engagierter entgegentreten, um soziale Spaltung zu reduzieren.

Eher ein Thema der Linken als der SPD: Ist Rot-Rot die Wunschkoalition der Jusos?

Ich glaube, dass Rot-Rot eine gute Koalition war, ja. Etwa der öffentliche Beschäftigungssektor wäre ohne die Linke nicht in diesem Maße erhalten worden.

Die SPD rückt aber mit ihrer Haltung etwa in der Frage des Parteiausschlusses von Thilo Sarrazin doch eher nach rechts.

Das kommt dabei heraus, wenn man nur auf Umfragen schielt. Ich glaube, dass die SPD unter Sigmar Gabriel dabei ist, genau das aufzugeben, was er selbst als Ziel formuliert hat: Deutungshoheit für die Sozialdemokratie in dieser Gesellschaft zu erlangen. Und wenn die SPD diesen Anspruch aufgibt, dann muss sie sich wirklich fragen, welchen Platz sie in dieser Demokratie und in diesem Parteiensystem noch hat.

Die SPD-Mitgliederzahl sinkt - wie sieht es bei den Jusos aus?

In Berlin steigt unsere Mitgliederzahl, wir sind hier mittlerweile 4.400. Die teilweise aber sehr frustriert sind, wenn sie sich die Tagespolitik anschauen.

Und wie viele machen später trotz aller Frustration bei der SPD weiter?

Dazu habe ich keine Zahlen. Der missglückte Parteiausschluss Sarrazins hat bei vielen einen ordentlichen Frustrationsschub freigesetzt. Aber es gab auch Leute, die zwar aus der SPD ausgetreten sind, bei den Jusos aber weitermachen, weil wir uns ja immer ganz klar von Sarrazins Thesen und von der Entscheidung der Partei, ihn nicht auszuschließen, distanziert haben. Das zeigt uns, dass wir Jusos da auf dem richtigen Weg sind. Aber es ist natürlich frustrierend, wenn junge Leute sagen, sie können sich mit Idealen wie Freiheit, Solidarität, Gleichheit identifizieren, fänden die aber in der SPD nicht mehr.

Wie sieht es mit Ihrer Frustration aus?

Ich habe mich ein paar Tage mit dem Gedanken an Austritt herumgeschlagen und dann beschlossen, in der Partei zu bleiben, weil ich sie nicht den Sarrazins überlassen will. Und weil ich glaube, dass es noch eine letzte Chance gibt, deutlich zu machen, wofür diese Partei steht, was ihre Grundwerte sind. Ich hoffe, dass diese Chance genutzt wird. Ich habe noch fünf Jahre bei den Jusos.

Werden die Jusos die SPD im Wahlkampf unterstützen?

Ja. Aber wir werden unsere eigenen Positionen deutlich machen.

Und werden Sie SPD wählen?

Nein, und auch keine andere Partei. Denn ich bin Luxemburger und damit als Ausländer bei den Landes- und Bundestagswahlen nicht wahlberechtigt.

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