Attacke in Lichtenberg: Die Brutalität an der Haltestelle

Vier jugendliche Migranten prügeln in einem U-Bahnhof einen Maler ins Koma. Er wird bleibende Schäden haben. Zwei Neonazis werden wegen eines ähnlichen Vorfalls verurteilt.

Bilder aus der Überwachungskamera im U-Bahnhof Lichtenberg. Bild: dpa

Ein brutaler Überfall erschüttert die Hauptstadt. Vier Jugendliche haben am Wochenende zwei Handwerker auf einem U-Bahnhof angegriffen. Ein Mann wurde so stark verletzt, dass er von den Ärzten ins künstliche Koma versetzt wurde. Die mutmaßlichen Täter wurden am Dienstagnachmittag festgenommen. Überwachungsvideos der BVG hatten zur Identifizierung der Schläger beigetragen.

Der Fall war erst am Dienstag bekannt geworden, als die Polizei auf ihrer Homepage Überwachungsvideos der BVG gestellt hatte. Die vier Täter sind auf den bewegten Bildern gut sichtbar. Ein Polizeibeamter einer Präventionsdienststelle erkannte in einem der vier einen 17-jährigen Kenianer. Der Jugendliche hatte vor Kurzem an seiner Schule ein Seminar zur Gewaltprävention besucht, an dem der Polizist beteiligt gewesen war. Als der 17-Jährige festgenommen wurde, konnten auch seine Mittäter überführt werden. Es handelt sich um zwei weitere 17- und einen 14-Jährigen. Sie stammen aus Albanien, dem Kosovo und Irak. Alle leben in Lichtenberg und gehen dort zur Schule.

Nach derzeitigem Erkenntnisstand der Staatsanwaltschaft hat sich die Tat wie folgt abgespielt: Zwei Berliner Handwerker waren am Freitagabend gegen 23.50 Uhr von ihrem Feierabendbier unterwegs nach Hause, als sich die Jugendlichen im U-Bahnhof Lichtenberg heranpirschten. Einer nach dem anderen sollen sie die beiden 30-jährigen Malergesellen geschlagen und getreten haben. Einem der beiden Opfer gelang es trotz Verletzungen zu fliehen.

Auf den Zuhörerbänken wird verächtlich geschnaubt, als der Richter das Urteil verkündet: Zwei Jahre Haft für Josef I. (30), ein Jahr und zehn Monate auf Bewährung für Denis S. (28). Wegen Körperverletzung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen standen die beiden Neonazis am Mittwoch vor dem Amtsgericht. Im Publikum: 20 schwarz gekleidete Kameradschaftler vom "Nationalen Widerstand".

Am frühen Morgen des 27. Juni 2010 hatten Denis S. und Josef I. nach einem Besuch der rechten Kneipe "Zum Henker" in einer Tram in Oberschöneweide einen betrunkenen 23-Jährigen mit Faustschlägen auf den Kopf traktiert. Anschließend verfolgten die Schläger mit ihrem Auto das in der Tram befindliche Opfer. Als der Mann in Hohenschönhausen ausstieg, schlugen und traten Denis S. und Josef I. erneut zu. Der 23-Jährige fiel bewusstlos zu Boden, erlitt Hämatome und eine blutende Kopfplatzwunde. Der Anlass der Tat war banal: Das Opfer hatte sich vor der Tramhaltestelle beschwert, dass die Rechten mit ihrem Auto zwischen die Wartenden fuhren, die gerade einsteigen wollten.

Im Saal zeigen sich der hagere Denis S. und Josef I. geständig. S. hatte zudem an seinem überwachten Telefon mit der Tat geprahlt. Die Attacke sei ein "massiver Gewaltakt ohne jeden vernünftigen Anlass", sagt der Richter. Besonders das Verfolgen des Opfers und nochmalige Zuschlagen sei verwerflich. Die Strafe sei "das Unterste des Vertretbaren". Denis S. wird zusätzlich dafür verurteilt, dass er Hakenkreuzbuttons in seiner Wohnung aufbewahrte. Bei der Tat habe die rechte Gesinnung der beiden arbeitslosen und einschlägig vorbestraften Angeklagten aber keine Rolle gespielt, so der Richter.

Strafmildernd wertet er, dass S. früh geständig war und inzwischen von der Szene verstoßen wurde. Im Internet wird er als "Denunziant" beschimpft und mit Gewalt bedroht, weil er "Kameraden" belastet habe. Im Saal stehen Zivilpolizisten. "Selten habe ich erlebt, dass ein Beschuldigter so angeprangert wurde, weil er zur Tataufklärung beigetragen hat", zeigt sich der Richter fassungslos. "Weil er Namen genannt hat", ruft ein Kameradschaftler in den Saal. Nach dem Prozess wird Josef I. von den Kumpels in Empfang genommen. Denis S. schenken sie kein Wort, nur eindringliche Blicke. KONRAD LITSCHKO

Der andere musste weitere Tritte und Schläge über seinen Kopf und Körper ergehen lassen. Ein Überwachungsvideos der BVG zeigt, wie sich der Mann schließlich an eine Säule lehnt. Einer der Täter rennt auf ihn zu und tritt den Maler zu Boden. Der bleibt regungslos liegen. Der Täter entwendet ihm dann noch ein Handy.

Nach ihrer Festnahme hätten die Jugendlichen angegeben, niemals die Absicht gehabt zu haben, jemanden derart zu verletzen, berichtet Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Außerdem hätten sie zunächst berichtet, sie seien von ihren späteren Opfern mit Sprüchen wie "Sieg Heil" provoziert worden. Inzwischen seien die Täter von dieser Aussage aber wieder abgerückt. Die Ermittler vermuten, dass sich die Jugendlichen vor ihrer Festnahme abgesprochen haben, um ihre Tat zu relativieren. Sie gehen derzeit von einem Raubmotiv aus. "Die Jugendlichen wollten die Männer einfach abziehen", so Steltner.

Theoretisch hätte es jeden treffen können, so der Sprecher. Die Maler seien Zufallsopfer gewesen. Den Gewaltexzess könne man sich nicht erklären. Für gewöhnlich sei das ein für Intensivtäter typisches Verhalten. Diese vier seien allerdings bisher bei der Polizei nicht auffällig geworden.

Die BVG-Videos zeigen, dass Passanten nicht eingegriffen oder weggesehen haben. Es gab Helfer, die einen Krankenwagen gerufen haben, allerdings erst, nachdem die Schlägergruppe verschwunden war. Minutenlang lag der Mann regungslos auf dem Boden. Auch sein Kollege, der es noch geschafft hatte, sich durch seine Flucht vor weiteren Schlägen zu retten, hat weder die Polizei noch einen Arzt verständigt.

Die Polizei sucht nach weiteren Zeugen, um den Tathergang zu konstruieren. Das Opfer erlitt eine Gehirnblutung. Der Mann ist nicht mehr in Lebensgefahr. Allerdings dürfte er bleibende Schäden haben.

Noch am Mittwoch sollte ein Richter darüber entscheiden, ob die vier Verdächtigen in Untersuchungshaft kommen. Ermittelt wird gegen wegen versuchten Raubmordes und gefährlicher Körperverletzung.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.