Wahlprognose 2011: Die Koalitionskonstellationen

Eins lässt sich mit Sicherheit für das gerade begonnene Jahr voraussagen: Am 18. September wählt Berlin ein neues Parlament. Wer danach regiert, hängt aber nicht nur vom Ergebnis ab.

Wegweisende Gesten? Klaus Wowereit und Renate Künast Bild: dpa

Wer sich derzeit vor die Tür wagt, begibt sich aufs Glatteis. Das gilt für die tiefgefrorene Stadt genauso wie für das politische Berlin. Sicher ist in diesem Jahr nur eins: Am 18. September wird ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Die Umfragen der letzten Monate lassen vor allem zwei Dinge erkennen. Die Wähler sind noch längst nicht festgelegt. Die Parteien können bis zum Spätsommer noch genauso kräftig zulegen wie verlieren. Und rein rechnerisch ist so gut wie alles möglich. Doch auch wenn der Wahlausgang noch offen ist, lässt sich die Wahrscheinlichkeit der möglichen Koalitionen schon jetzt prognostizieren.

Rot-Rot leidet an Langeweile

SPD und Linkspartei haben ein echtes Problem. Sie müssen bis zum Wahltag regieren. Das machen sie nicht wirklich schlecht, aber auch nicht richtig gut, schon wegen der bekanntlich leeren Kassen. Keine Regierung könnte derzeit mit kostspieligen Projekten die eigene Klientel begeistern. Die Linken haben zwar mit der Sekundarschule und der Einführung des öffentlichen Beschäftigungssektors gepunktet. Aber die Massen begeistert das nicht. Auch das Personal im Senat ist wenig geeignet, die Menschen zu bewegen. Da sitzen sozialistische Bürokraten neben sozialdemokratischen Verwaltern. Das ist alles in allem arm und unsexy.

Prognose: Aus purer Langweile werden die entscheidenden ein bis zwei Prozent diesmal irgend etwas anderes wählen.

Künast als Brücke für Rot-Grün

Als Renate Künast vor gut einem Jahr erstmals als Spitzenkandidatin der Grünen gehandelt wurde, galt sie vielen als Garant für eine kommende schwarz-grüne Koalition. Schließlich sollte Künast als Affront gegen die Regierenden installiert werden - also gegen die Sozialdemokraten.

Nicht von ungefähr stöhnten daher Grünen-Vertreter des linken Parteiflügels über die offenbar einseitige Orientierung. Dabei macht Künast eine Zusammenarbeit zwischen SPD und Grünen überhaupt erst vorstellbar. Denn in Berlin hapert es zwischen Rot und Grünen weniger auf inhaltlicher als auf persönlicher Ebene. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit lässt keinen Zweifel daran, dass ihm die biestig-besserwisserische Aufmüpfigkeit der grünen Fraktionsspitze zuwider ist. Daran sind schon die letzten Koalitionsverhandlungen vor fünf Jahren gescheitert. Künast und Wowereit hingegen schätzen sich seit Langem. Hier stimmt die Chemie. Das darf man bei allen Anfeindungen im Wahlkampfgetöse der kommenden Monate nicht vergessen.

Die Brücke Künast-Wowereit hat allerdings einen Konstruktionsmangel. Landen die Grünen vor der SPD, dürfte Klaus Wowereit nicht mehr im Senat vertreten sein. Zwar soll er gelegentlich schon über seine Zukunft als "Kultursenator unter Renate" scherzen. Tatsächlich vorstellbar ist aber kaum, dass der Strahlemann Wowereit als Wahlverlierer in die zweite Reihe rückt. Falls die Sozialdemokarten überhaupt als kleinerer Koalitionspartner zur Verfügung stehen, dann wohl nur mit einer komplett neuen Führungsriege. Liegt umgekehrt die SPD am Wahlabend vor den Grünen, fehlt Künast. Denn sie hat angekündigt, dass sie nur auf Sieg setzt und für alles andere nicht zur Verfügung steht.

Prognose: Die passen zu gut zusammen, sie werden es am Ende wieder nicht hinbekommen.

Die Unmöglichkeit: Links-Grün

Auch Linkspartei und Grüne passen inhaltlich gar nicht so schlecht zusammen. Linke Utopisten schwärmen schon von dieser tatsächlich neuen, weil noch nie da gewesenen Koalition. Sie würde alles vom konservativ-proletarischen Arbeitslosen bis zur ökohedonistischen Upperclass abdecken - und dürfte wohl genau am kulturellen Graben zwischen diesen Antipoden scheitern.

Prognose: Den Mut, den die SPD 2001 hatte, werden die Grünen nicht aufbringen.

Grün-Schwarz als Chance für Wowereit

Vor einigen Jahren galt Schwarz-Grün mal als das neue Ding. Das ist passé. Der erste Versuch in Hamburg ist gerade erst mit Pauken und Trompeten gescheitert. Früher hätte die CDU die Grünen als Chaoten abgetan, heute ist es eher umgekehrt. Dennoch ist eine Zusammenarbeit der beiden keineswegs ausgeschlossen. Im Gegenteil ist es gut möglich, dass diese Koalition die einzige Machtoption für die Grünen sein wird. Dafür werden sie auch über größere Schatten springen. Welche der beiden Parteien das mehr zerreißen würde und ob das besser funktionieren würde als in Hamburg, ist aber fraglich.

Eins ist sicher: Grün-Schwarz wäre die Chance für Klaus Wowereit, doch noch in der Bundespolitik zu landen. Solange er Regierender Bürgermeister ist, wäre alles andere als die Kanzlerkandidatur ein persönlicher Abstieg. Als ehemaliger Regierender könnte er in einer SPD-geführten Bundesregierung ab 2013 in der zweiten Reihe ein Comeback feiern - etwa als Kulturstaatsminister.

Prognose: Grün-Schwarz ist wahrscheinlicher, als es derzeit den Anschein hat.

Das Undenkbare: CDU und Linke

Auf dieses eine wenigstens ist Verlass: CDU und Linkspartei werden nicht zusammen den nächsten Senat stellen.

Prognose: Geht nicht mal rein rechnerisch.

Die rot-schwarze Autobahnkoalition

Wenn nun aber SPD und Grüne nicht zusammenfinden, Rot-Rot die Stimmen fehlen, Links-Grün nur für Utopisten denkbar ist und Grün-Schwarz doch an den offensichtlich inhaltlichen Gegensätzen scheitert, dann bleiben nur noch Neuwahlen - oder Schwarz-Rot. Genauer gesagt Rot-Schwarz. Eine Liebesheirat wäre das nicht, aber die altbewährte Notfallkoalition. Deshalb wird bis zum Wahltag auch vor allem die SPD immer wieder auf das katastrophale Ende der letzten großen Koalition 2001 verweisen. Aber nach der Wahl ist bekanntlich stets alles anders. Eins zumindest wäre klar bei Rot-Schwarz: Die Stadtautobahn A 100 würde weitergebaut. Denn darin sind sich SPD und CDU einig.

Prognose: Für die strukturelle linke Mehrheit der Stadt die schlechteste Lösung. Dummerweise genau deshalb wahrscheinlich. Denn wenn drei sich streiten, freut sich der Vierte.

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