Bürgerbeteiligung am Gleisdreieck: Die Leere nach der Zwischennutzung

Auf dem Gleisdreieck-Gelände soll ein Park entstehen unter Beteiligung der Bürger. Es geht nur langsam voran. Denn die Interessen liegen weit auseinander: Rasen oder Kleingärten, Sportplätze oder Wildnis?

Regina Krokowski steht unter der U-Bahn-Brücke und schreit sich die Stimmbänder kaputt. 270 Menschen haben sich um sie herum versammelt. Sie wollen hören, was Krokowski sagt - und haben praktisch keine Chance, sie zu verstehen. Denn die Freifläche unter der U-Bahn auf dem Gelände des Gleisdreiecks ist zu groß, der Wind trägt die Worte davon. Eine U-Bahn quietscht über die Schienen. Krokowski macht eine Pause, schaut erleichtert.

"Wir hatten nicht damit gerechnet, dass so viele Menschen kommen", sagt sie hinterher. Die Grün Berlin GmbH, die im Auftrag des Senats das Gebiet am Gleisdreieck zu einen Park machen soll, hatte Anwohner zum Gang über das Gelände eingeladen. Krokowski, Projektverantwortliche für das Gleisdreieck, sollte darüber informieren, was in den nächsten Jahren aus der Fläche werden soll. Die Anwohner sollen sich informiert fühlen, Wünsche äußern können, angehört werden. Doch Bürgerbeteiligung mit 270 Menschen und ohne Megafon kann ziemlich schwierig sein.

Die Arbeitsgruppe, die an den Planungen für den Gleisdreieck-Park arbeitet, will die Ergebnisse nach den Sommerferien der Öffentlichkeit vorstellen. Trotzdem sollen schon ab August die Aufräumarbeiten auf dem Gelände beginnen. Dazu gehört laut dem Ausschreibungstext der Grün Berlin GmbH unter anderem der Rückbau von Zäunen, Laternen, Masten und Beschilderungen samt Entsorgung sowie das Planieren von 45.000 Quadratmetern Boden. Auch von 55 Bäumen, die gefällt werden müssten, ist die Rede.

Krokowski hatte sich vorbereitet. Sie hat feste Schuhe angezogen, denn der Boden ist unbefestigt und uneben. Sie hat Pläne mitgebracht, auf denen das Gelände dargestellt ist, nach dem jetzigen Stand der Planung - hinter vielen Punkten stehen jedoch noch Fragezeichen. Und sie bemüht sich um Erklärungen, die ohne Fachsprache auskommen. Nur ab und zu rutscht ihr eine "Trassenfreihaltung" oder eine "multifunktionale Platzfläche" durch.

Ein Anwohner stellt eine Frage. Wind und U-Bahn übertönen die Wörter, irgendetwas mit "Größe" ist zu verstehen. Krokowski schaut in die Menge, suchend, winkt einem großen Mann mit Umhängetasche. "Das kann Herr Schwarz beantworten", sagt sie. Felix Schwarz gehört zum Büro der Landschaftsarchitekten, die das Gelände planen.

Er weist schräg über die Schulter. "Der Park wird viel schmaler, als man jetzt den Eindruck haben könnte", ruft er in die Menge. Die steht gerade auf einem ehemaligen Abschlagplatz für Golfschüler. Seitdem die Zwischennutzung vorbei ist, dient er höchstens Spaziergängern als Aussichtspunkt. An der Seite des Geländes werden noch Wohnhäuser entstehen, erklärt Schwarz. Seine Hand fährt auf dem Plan an der linken Seite von oben nach unten. Die Anwohner drängeln sich um ihn herum. "Mir war gar nicht klar, dass noch so viel gebaut wird", kritisiert einer. Ein zweiter wirft das G-Wort in den Raum. Gentrifizierung. Der Rest geht im U-Bahn-Lärm unter.

Wer mit Regina Krokowski über das Gelände geht, sieht eine Brache. Gebüsch an einer Ecke, viel Rasen, eine Anhöhe, auf die später einmal Stufen sollen. Ein Gelände, das wirr ist, ungestaltet und dringend einer ordnenden Hand bedarf. Ein ganz anderes Gelände erscheint dem, der mit Matthias Bauer über das Gleisdreieck läuft. Bauer wohnt seit Anfang der 80er-Jahre fast um die Ecke des zukünftigen Parks. Er hat alle Nutzungsphasen des Geländes mitbekommen: die Zeit vor der Wende, in der die Fläche - zum Osten gehörend, im Westen liegend - nicht genutzt werden durfte. Die Zeit nach der Wende, in der hier Bagger, Kräne und Steine lagerten - die Logistik für den Bau des Potsdamer Platzes. Und jetzt die Zeit, in der sich wieder Menschen mit Hunden, Sonnenanbeter und Neugierige auf das Gelände trauen. Trotz des "Betreten verboten"-Schildes, das am Eingang hängt.

Auch Bauer hat zur Besichtigung feste Schuhe angezogen, Pläne mitgebracht. Und auch er läuft zunächst über den nördlichen Teil des zukünftigen Parks, erklärt die geplante Bebauung, die Rettungswege für den ICE-Tunnel, die befestigt bleiben müssen. Doch wer mit Bauer das Gelände erkundet, sieht eine einzigartige städtische Wildnis. Trockenheitsresistente Ölweiden haben sich hier angesiedelt. Wer sich bis zum südlichen Ende vorwagt, kann über alte, fast überwachsene Gleise laufen und Reste von Bahnanlagen sehen. Ganz am östlichen Rand, in einer Senke, liegt ein Tunnel, dessen Wände regelmäßig von Graffiti-Künstlern umgestaltet werden.

Bauer sieht kein Gelände, das dringend der Gestaltung bedarf. Er sieht ein Gelände, dessen Elemente erhalten werden sollten. "Der zweistellige Millionenbetrag ist zu viel Geld für die Gestaltung", sagt er. "Hätten sie nur vier Millionen gehabt, hätten sie viel sparsamer planen müssen." Und - das meint er damit - wären nicht auf die Idee gekommen, alles platt und dann noch einmal neu zu machen.

Während er von der Golf-Rampe in Richtung U-Bahn-Brücke läuft, übt er auch Kritik an der anderen Seite. "Es ist eigentlich die gleiche Situation wie beim Mauerpark in Prenzlauer Berg, nur dass das Immobilienunternehmen Vivico hier schon Verträge für die Bauflächen hat." Beide Parks sind lang und schmal, beide liegen an der Grenze eines Bezirks, was die Zuständigkeiten verkompliziert, bei beiden sollten sich Anwohner in den Prozess einbringen.

Doch wo sind beim Gleisdreieck die Anwohner, die Demos organisieren, die sich gegen die Bebauung wehren, die Grün wollen statt Grau? "So eine Bewegung wie beim Mauerpark oder bei Mediaspree haben wir nicht geschafft", sagt Bauer. Der zentrale Unterschied: Während es den Mauerpark schon gibt und bei den Anwohnern jetzt das Gefühl entstehe, es werde ihnen mit der geplanten Bebauung etwas genommen, sei das beim Gleisdreieck eben nicht der Fall.

Was außerdem bei der Führung mit Regina Krokowski deutlich wird: Die Anwohner wollen längst nicht alle das Gleiche. Einige wünschen sich Sportmöglichkeiten, andere vor allem Rasen. Die Kleingärtner wollen ihre Kleingärten erhalten. Eine junge Mutter wirft ein, dass der Radweg zwischen Kreuzberg und Schöneberg nachts beleuchtet werden solle. Eine Vertreterin vom Quartiersrat Tiergarten Süd kritisiert, dass Vorschläge, die auf einer Bürgerversammlung im November geäußert wurden, bislang überhaupt nicht eingeflossen sind.

Zu laut für ein Kino

Die Planungen, auch das wird deutlich, sind nicht immer bis zuletzt durchdacht. So war zum Beispiel ein Freiluftkino vorgeschlagen worden. Doch den Anwohnern, die bei der Besichtigung dabei sind, ist klar: Mit dem U-Bahn-Lärm wäre höchstens ein Freiluftkino mit Kopfhörern möglich. "Die derzeitige Planung ist lediglich ein Zwischenstand", betont daher Andreas Lipp vom Büro der Landschaftsarchitekten.

Der kleinste gemeinsame Nenner der Anwohner ist vielleicht noch die Natur. Der Park wird mit Ausgleichsmitteln vom Bau des Potsdamer Platzes bezahlt. Rund 15 Millionen Euro, um eine Komplettversiegelung ökologisch wieder wettzumachen. Und geplant werden derzeit, das sagt Bauer resigniert, alleine rund 5.000 Quadratmeter für Sport und Veranstaltungen. Aus Asphalt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.