Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus: Die Rückkehrerin

Exbundesministerin Andrea Fischer versucht ein politisches Comeback. Nach der Wahl am 18. September will sie grüne Bezirksbürgermeisterin werden. Bei der Parteibasis kommt sie gut an.

Jetzt nochmal Politik an der Basis? Die damalige Gesundheitsministerin Andrea Fischer waehrend einer Pressekonferenz in Berlin am 1. November 2000. Bild: ap

"Ist sie schon da, und hat sie ihr Saxofon mitgebracht?", fragt eine Nachzüglerin. "Sie", das ist die Frau Anfang 50, die vorn im Raum neben dem Rednerpult sitzt. Vor zehn Jahren war ihr Gesicht als grüne Bundesministerin und Bundestagsabgeordnete oft zu sehen. Seither ist Andrea Fischer weithin aus der breiten Öffentlichkeit und komplett aus dem Grünen-Parteileben verschwunden. An diesem Dienstagabend aber bewirbt sie sich für ein politisches Comeback. Sie will die örtlichen Grünen überzeugen, sie als Kandidatin für den Bürgermeisterposten in Mitte zu nominieren.

Hätte Fischer ihr Saxofon tatsächlich dabei, würde es passen, wenn sie einen Song von Marius Müller-Westernhagen spielte, auch wenn der für Klavier geschrieben ist: "Ich bin wieder hier, in meinem Revier, war nie richtig weg, hab mich nur versteckt". Abrupt war ihre Politikkarriere 2002 zu Ende gegangen. Als es darum ging, die Kandidaten für die Bundestagswahl aufzustellen, ließ der Landesverband sie gleich zweimal durchfallen - ausgerechnet sie, 1998 noch Spitzenkandidatin mit dem Slogan "Unser Fischer heißt Andrea". Das war zu viel der Schmach für die Frau, die in der BSE-Krise schon als Gesundheitsministerin zurücktrat.

Mehr als neun Jahre später steht sie nun im Presseraum der Grünen-Bundeszentrale, wo auch der Kreisverband Mitte zu Hause ist. Tags zuvor hat hier der künftige baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann gestanden, am Sonntagabend haben sie die Lampen grün abgeklebt und seinen Wahlsieg gefeiert. Jetzt sorgt dieses Licht bei Fischer und den gut 60 Grünen im Raum für eine käsige Gesichtsfarbe und liefert ihr einen Einstieg in ihre Rede: "Ich war zwar zehn Jahre nicht bei den Grünen aktiv, aber so schlecht wie bei diesem Licht sehe ich normalerweise nicht aus." Sonst wirkt sie kaum anders als früher: schulterlange dunkelblonde Haare, Brille, kein Hungerhaken, oft lächelnd.

Von ihrem Werdegang seit 2002 spricht sie. Dass sie lange von Berlin aus pendelte. Dass sie zunehmend feststellte, dass Berlin ihre Stadt ist. Dass sie hier seit 2009 freiberufliche Beraterin im Gesundheitswesen ist. Nahe liegende Fragen nimmt sie vorweg. Warum sie als Exministerin in die vermeintlichen Niederungen der Kommunalpolitik hinabsteigt? "Weil es wichtig ist." Und weil sich im Kleinen viel entscheide. Wie sie ohne genaue Kenntnis der örtlichen Probleme den Bezirk regieren will, in dem sie als Charlottenburgerin nicht mal wohnt? "Ich verspreche euch, dass ich mich da wirklich reinknien werde." Inhaltlich sagen will sie daher noch nichts: "Ich will nicht daherplappern."

Das alles geschieht nicht im Ton einer Frau, die sich zu etwas herablässt, die sich als Heilsbringerin sieht. Sie verhaspelt sich mehrfach, sie scheint ein bisschen nervös. Dabei ist es nicht so, dass Fischer in den vergangenen Jahren auf keinem Podium gestanden hätte. Sie ist Landesvorsitzende der Malteser, einer katholischen Hilfsorganisation; sie schrieb in der Missbrauchsaffäre 2010 Gutachten für den Jesuitenorden; sie saß als Moderatorin einer Talkshow vor Studio- und Fernsehpublikum - aber eben nicht vor den Grünen. Die Wiederbegegnung mit ihrer Partei lässt Fischer nicht kalt. Mehrfach kommt sie auf ihren Abgang zu sprechen. "Nicht ganz so glücklich" sei ihre Geschichte mit den Grünen gewesen.

Dass sie an diesem Abend viel Beifall bekommt, war für sie offenbar nicht ganz sicher. "Ich bin gerührt, dass ihr mich so freundlich behandelt", sagt sie. Es hört sich nicht wie eine Floskel an. Kritik gibt es nur vereinzelt am Verfahren, sie im kleinen Kreis auszugucken und erst jetzt der Basis zu präsentieren.

Sie ist ja tatsächlich nicht die allertypischste Grüne. Bis 2009 war sie drei Jahre Partnerin im Bereich Gesundheitswesen bei der PR-Agentur Pleon, wo auch Exsenator Peter Strieder von der SPD anheuerte. Da war sie schnell als "Pharmalobbyistin" verschrien. Sie trat wieder in die katholische Kirche ein, schrieb ein Buch darüber und unterstützte 2009 das Volksbegehren "Pro Reli". All das aber ist kein Thema an diesem Abend.

Anders als Renate Künast, die nur Regierende Bürgermeisterin werden will, ist Fischer nicht auf den Spitzenposten festgelegt. Auch Stadträtin, also Ministerin auf Bezirksebene, ist für sie denkbar. "Und wenn wir wirklich scheitern sollten, dann gehe ich zurück und mache meine Arbeit, wie ich sie bisher gemacht habe", verspricht sie. Zerbrechen wird sie das kaum. "Die Erfahrung, schon mal auf die Nase gefallen zu sein, hilft einem fürs nächste Mal", hat sie der Süddeutschen Zeitung schon vor Jahren gesagt, "man weiß, okay, es tut weh, aber man kommt darüber hinweg." Schöner hätte es Marius Müller-Westernhagen nicht singen können.

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