Scharni29 teilgeräumt: Geplatzte Träume

Im Friedrichshain räumt die Polizei das Erdgeschoss des Alternativprojekts Scharni29. Die Bewohner wehren sich mit Luftballons und Konfetti. Das finden alle nett.

Bunte Luftballons gegen triste Räumung: die Scharni29 am Donnerstag. Bild: dpa

Luftballons, überall bunte Luftballons: Tausende habe man die ganze Nacht aufgepumpt und in die Räume gestopft, berichtet Scharni-Bewohner Steffen. Dort, wo sich bisher ein "Schenkladen" und ein "offenes Wohnzimmer" befanden. Am Donnerstag räumten Polizei und Gerichtsvollzieher das Erdgeschoss des Friedrichshainer Hausprojekts in der Scharnweberstraße 29. Dass die Bewohner dagegen nicht ankommen würden, wussten sie. Also setzten sie auf bunte Symbolik.

Schon am Morgen hat die Polizei die Scharnweberstraße um die Hausnummer 29 abgeriegelt, rund 150 Demonstranten versammeln sich hinter den Absperrungen. Als am Vormittag der Gerichtsvollzieher anrückt, rennen aus einem Haus gegenüber plötzlich 30 Protestierer mit bunten Heliumballons und setzen sich vor die "Scharni". Ein Durchbruchversuch der 150 an der Straßenecke scheitert am Pfefferspray der Polizei. "Bunte, friedliche Vielfalt" wolle man der "kapitalistischen Verwertung" entgegensetzen, sagen die Sitzblockierer - bevor sie die Polizei nach einer halben Stunde wegräumt. Aus den Fenstern der Scharni rieselt Konfetti, dröhnt Rio Reiser. Heliumballons flattern gen Sonne. "Häuservernetzung in Friedrichshain!" fordern angeknotete Flugblätter.

Derweil wühlen sich Polizisten durch die Luftballons im Schenkladen, zertreten sie knallend. Das Inventar war bereits am Wochenende mit einem Demo-Zug in ein befreundetes Friedrichshainer Hausprojekt verfrachtet worden. In einer Ecke tauchen hinter den Ballons zwei Protestierer auf, an eine Gips-Pyramide gekettet. Die Polizei befördert sie fix aus dem Haus.

"Spannende Idee", findet Grünen-Bezirksbürgermeister Franz Schulz, der vorm Haus den Einsatz beobachtet, die Ballon-Aktion. Die Räumung aber sei "völlig überflüssig". Der Eigentümer Gijora Padovicz hatte das Erdgeschoss gekündigt, weil dieses gewerblich, nicht wohnlich genutzt werde. Der Verein legte Berufung ein, ein Gericht gab der Räumung dennoch statt. Man hätte den Mietvertrag schlicht umwandeln sollen, sagt Schulz. Grundsätzlich seien die städtischen Wohnungsunternehmen gefordert. "Sie müssen Gebäude auch für selbstverwaltetes, kollektives Wohnen bereitstellen."

Hinter den Polizeiketten schnappt sich eine 72-jährige Anwohnerin das Megafon. "Empörend" sei der heutige Tag. Der Schenkladen, in dem Gebrauchsgut ab- und mitgenommen werden konnte, habe viele Jahre sinnvolle Arbeit geleistet. Der große linke Widerstand aber, wie vor einem Monat bei der Räumung der Liebig 14, bleibt aus.

"Mit Luftballons können wir leben", gibt sich ein Polizeisprecher entspannt. 300 Beamte sind im Einsatz, die meisten nur auf Abruf. "Weitestgehend störungsfrei" sei die Räumung gelaufen, so der Sprecher. Sieben Protestierer landen in Gewahrsam.

Als am Mittag der Gerichtsvollzieher das Haus verlässt, strömen auch die Protestler davon. Traurig sei sie, sagt Anja, ehemalige Schenkladen-Mitarbeiterin. "Wir verlieren immer mehr unserer Lebensräume." Im Erdgeschoss lässt ein Schlosser die Rollläden runter. Letzte Luftballons wehen durch die Polizeiketten. Ein paar Ecken weiter, in der Liebigstraße 14, scheint die Sonne auf verbretterte Fenster. Stille.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.