Parteitag der Berliner Grünen: Grüne haben Problem mit der Integration

Renate Künast setzt sich nur knapp damit durch, im Wahlprogramm der Grünen Probleme mit Migranten benennen zu dürfen. Parteilinke warnt vor Vorurteilen à la Sarrazin.

Sorgt für Widerspruch, bleibt bei ihrer Linie: Renate Künast. Bild: dpa

Es ist viel von "Wir" die Rede, von Gemeinsamkeit, von Verantwortung für die ganze Stadt in diesem Hotelsaal in Mitte, an dessen Stirnseite "Grün verbindet" steht. Das liegt auch nahe bei einem Parteitag, bei dem die Berliner Grünen ein Wahlprogramm namens "Eine Stadt für alle" beschließen wollen. Und tatsächlich erhält fast nebenbei auch der neue Landesvorstand große Mehrheiten (siehe Kasten). Am frühen Samstagnachmittag aber ist es zwischenzeitlich vorbei mit der Einigkeit.

Das Thema Integration lässt fast das große Projekt der Offenheit platzen, mit dem die Spitzenkandidatin Renate Künast die Abgeordnetenhauswahl am 18. September gewinnen will. Eher knapp setzt sich nach heftiger Diskussion ihr Anspruch durch, Probleme bei Migranten auch benennen zu dürfen. 82 zu 61 Stimmen - elf Delegierte in die andere Richtung, und Künast wäre düpiert gewesen.

Schon in ihrer Eingangsrede hat Künast - "wir umarmen die ganze Stadt" - ihre Linie verteidigt. Nach viel Dank an die Leistung vieler Migranten kündigt sie an, dass nun ein "Aber" folge. "Es gibt auch kleine Gruppen, mit denen gibt es Probleme", sagt sie. "Das müssen wir in unserem Programm ansprechen , wenn wir für die ganze Stadt da sein wollen". Gute Integration heiße auch, "dass wir sagen, wo es Probleme gibt." Und die nennt der Entwurf des Wahlprogramms konkret: so genannte Ehrenmorde, Drogenhandel oder islamischer Fundamentalismus.

Bettina Jarasch (42) und Daniel Wesener (35) werden die Grünen als Landesvorsitzende in die Abgeordnetenhauswahl im Herbst führen. Eingebettet in die Diskussion des Wahlprogramms gab es bei der Vorstandswahl breite Mehrheiten für beide. Für die realpolitische einzuordnende Jarasch stimmten 82,7 Prozent der Parteitagsdelegierten, für den Linken Daniel Wesener 76 Prozent. Gegenkandidaturen gab es nicht.

Beide betonten in Reden eine breite Aufstellung der Partei. „Die Wahl wird in der Fläche gewonnen“, sagte Wesener. Eine derartige Öffnung heißt für Jarasch aber auch: „Keine Angst vor der Volkspartei“ – ein Begriff, den viele Grüne sich auszusprechen scheuen. Sie will über grüne Kernbereiche hinausschauen: „Wir müssen uns vielleicht mit so spießigen Themen wie sauberen Straßen beschäftigen.“

Jarasch war bereits in den vergangenen beiden Jahren Beisitzerin im Landesvorstand, Wesener seit 2008 Fraktionschef in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg. Die bisherigen Vorsitzenden Irma Franke-Dressler und Stefan Gelbhaar wurden mit viel Applaus verabschiedet. Franke-Dressler will nun in Polit-Rente, Gelbhaar ins Abgeordnetenhaus. Beim vorigen Wechsel der Doppelspitze 2007 war die Stimmung deutlich anders: Die damaligen Landeschefs Till Heyer-Stuffer und Almuth Tharan schieden im Streit mit ihrer Partei aus dem Amt. STA

Gerade in den Reihen der Kreuzberger Delegierten des Parteitags sorgt das wiederholt für ablehnendes Kopfschütteln, vor allem bei Monika Herrmann, der Bildungsstadträtin des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Herrmann warnt am Rednerpult davor, "nicht Vorurteile zu bedienen, wie Sarrazin oder Buschkowsky (Neuköllns SPD-Bürgermeister, d.Red.) es tun." Von einer angeblichen "Willkommenskultur" will sie im Integrationskapitel des Wahlprogramms nichts gefunden haben. Probleme konkret im Programm zu benennen, lehnt sie ab. Per Änderungsantrag will die Parteilinke den Abschnitt wesentlich weniger expilizit formulieren. "Im Wahlprogramm ist eine Textpassage, die diesen provokativen und verletzenden Ton anschlägt, fehl am Platze", sagt eine Vertreterin der Parteiarbeitsgemeinschaft Migration. Ein anderer Kritiker bezweifelt, dass das Wahlprogramm ganz den Grundwerten der Grünen entspricht. Er sieht vielmehr die Gefahr, "dass wir nicht nur den Kampf um das Rote Rathaus verlieren, sondern auch uns selbst."

Hin und her geht die Debatte, bis klar ist, dass Künast selbst nochmal ans Rednerpult gehen muss. Die will sich nicht vorwerfen lassen, Menschen auszugrenzen, nicht sie, die sich gegen Abschiebungen stellte. Für sie habe seit ihren Anfängen in der Alternativen Liste in der 80er Jahren gegolten: "Alle Menschen haben Rechte, aber auch Pflichten." Künast sagt, sie wolle es ernst nehmen, wenn ihr Menschen in Lichtenrade sagen: "Tun Sie was dafür, dass unsere Mädchen in der Schule in Frieden lernen können." Und das würden ihr Menschen sagen, die Mohamed oder Aishe mit Vornamen heißen. Probleme bei Migranten zu verschweigen hilft für sie nicht weiter.

"Es gibt die sogenannten Ehrenmorde, es gibt Gewalt auf den Schulhöfen, es gibt es, dass Frauen nicht die gleichen Chancen haben wie Jungen", sagt die Spitzenkandidatin. Gerade den letzten Punkt könne sie schon in ihrer Eigenschaft als Frau nicht hinnehmen. Genau diese Offenheit verlangt auch der langjährige Berliner Fraktionschef und heutige Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland. Politische Korrektheit dürfe nicht dazu führen, Dinge auszublenden, fordert Wieland. "Nur mal so zur Erinnerung", sagte er, "wir haben demonstriert gegen Ehrenmorde."

Dauerhafte Gräben aber scheint die Diskussion, so heftig sie auch ist, nicht zu hinterlassen. Tags darauf applaudieren auch Kreuzberger Delegierte nach der Vorstellung der neuen Landesvorsitzenden Bettina Jarasch, die aus dem realpolitischen Künast-Lager kommt. Und Künast selbst lobt beim Kapitel Bildung die von Herrmann als Stadträtin verantwortete Schulpolitik des grün-regierten Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Anders als etwa der bereits itierte Bürgermeister Buschkowsky in Neukölln schicke Kreuzberg bei Schulschwänzern "erstmal den Sozialarbeiter und nicht den Drohbrief."

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