Die binationale Lehrerin: Hart, aber herzlich

Seit 16 Jahren unterrichtet Ayse Özkaraca an Berliner Grundschulen. Dafür bekommt sie weniger Geld als deutsche LehrerInnen und kaum Anerkennung. Zumindest die Bezahlung soll sich nun bessern.

Vor allem an den staatlichen Europaschulen gibt es sie: Lehrkräfte, die ihre Ausbildung im Ausland statt an deutschen Unis gemacht haben und deshalb nicht über ein Staatsexamen verfügen. Dieses gilt in Deutschland als Voraussetzung für den Eintritt von Akademikern in den Staatsdienst und wird deshalb von staatlichen Prüfungsstellen abgenommen. Im Ausland ausgebildete Lehrkräfte, die diese Prüfung nicht abgelegt haben, bekommen deshalb in Berlin bislang bis

zu 40 Prozent weniger Gehalt

als ihre deutschen KollegInnen.

Dabei leisten sie als muttersprachliche LehrerInnen eine

Arbeit, ohne die die zweisprachigen Europaschulen nicht denkbar wären. Heute will das Abgeordnetenhaus entscheiden, ob die Gehälter der ausländischen Lehrkräfte denen der inländischen angeglichen werden. AWI

"Haydi, cocuklar! Ilk önce düsünün!"* - "Los, Kinder, denkt erst mal nach!" Was an diesem Dienstagmorgen in den hohen stillen Räumen des Ägyptischen Museums zu hören ist, ist selbst in Berlin ungewöhnlich: Nicht nur die SchülerInnen der fünften Klasse, die hier die Mumien und Katzengötter bewundern, reden Türkisch miteinander. Auch ihre Lehrerin, die sie ermahnt, erst nachzudenken, bevor sie die Fragen der Museumsführerin beantworten, spricht Türkisch mit den Kindern.

Die Klasse stammt von einer Kreuzberger Grundschule, an der Türkisch erwünscht und Zweisprachigkeit Programm ist: der Aziz-Nesin-Europaschule am Südstern. Seit zwölf Jahren gibt es die zweisprachige Grundschule. Lehrerin Ayse Özkaraca kam ein halbes Jahr nach der Gründung ins Team. "Ayse Ögretmenim - meine Lehrerin Ayse" wird sie von ihren SchülerInnen genannt, was Zuneigung ebenso wie Respekt ausdrückt. "Die Kinder lieben eben ihre Ayse, und die Ayse liebt ihre Kinder", fasst sie das Verhältnis knapp und sachlich zusammen. Viel mehr Gefühl passt schlecht in den deutschen Alltag. Das ist eine Erfahrung, die die 50-Jährige in ihren fast drei Jahrzehnten in Deutschland gemacht hat.

Dabei war es auch die Liebe, die sie einst herbrachte: 1979 heiratete die aus einer großbürgerlichen Familie stammende Istanbulerin einen in Berlin lebenden türkischen Arzt. Vor dem Hintergrund der von politischen Unruhen erschütterten Türkei erschien der damals 22-Jährigen das Leben in Deutschland traumhaft: "Hier war alles so frei und so schön ruhig!" Doch der Traum zerplatzte, die Ehe ging schief, und Ayse Özkaraca erging es wie mancher anderen aus dem Ausland zuziehenden Ehefrau: Ihr Mann versuchte sie auf ein Leben als Hausfrau und Mutter zu beschränken.

Anfang der 90er-Jahre beschloss sie deshalb, sich mit ihren beiden Töchtern auf eigene Füße zu stellen. Einen Beruf hatte sie ja, und ihre Motivation, genau diesen zu ergreifen, verband sie mit vielen ihrer deutschen KollegInnen: "Ich wollte unbedingt etwas mit Kindern machen." Nach dem Abitur, das sie als Schulbeste machte, absolvierte sie deshalb ein dreijähriges Hochschulstudium als Lehrerin für Türkisch und Englisch. Vor ihrem Umzug nach Berlin hatte sie in der Türkei bereits zwei Jahre Berufserfahrung gesammelt.

Eine erste Stelle fand die türkische Lehrerin in Berlin schnell: Als Kolehrerin einer deutschen Kollegin an einer Grundschule, die türkischstämmigen Kindern Alphabetisierung in der Muttersprache anbot. "Damals hatte ich nicht viel zu tun: Die deutsche Lehrerin bereitete den Unterricht vor, ich musste dann jeweils mit einigen Kindern den Stoff auf Türkisch durcharbeiten." Dass sie dafür weniger Geld bekam als die deutsche Kollegin, erschien ihr deshalb kaum verwunderlich: "Ich hätte gerne mehr mit den Kindern gearbeitet. Aber es wurde uns gesagt, dass unsere Ausbildung dafür nicht ausreiche."

Mit dem Wechsel an die neu gegründete Europaschule, die ein eigenes Konzept zweisprachiger Erziehung erprobt, änderten sich allerdings sowohl das Arbeitspensum wie auch die pädagogische Verantwortung der türkischen Lehrerin. "Es gab ja überhaupt kein Material für die Art von Unterricht, die wir hier machen", erzählt sie. Von der Vorschule bis zum Abschluss nach der sechsten Klasse begleitete Ayse Özkaraca den ersten Jahrgang der deutsch-türkischen Europaschüler. Mittlerweile hat sie ihren zweiten Jahrgang als Klassenlehrerin bis ins fünfte Schuljahr gebracht.

Wie an Grundschulen üblich, unterrichtet sie fast alle Fächer. Da Sachkunde in den ersten vier Schuljahren und ab der fünften Klasse die Fächer Erdkunde, Naturwissenschaft und Geschichte in türkischer Sprache gelehrt werden, müssen die LehrerInnen das Unterrichtsmaterial selbst entwickeln und übersetzen - mit türkischen Schulbüchern zu arbeiten geht nicht, da die staatliche Europagrundschule deutschen Lehrplänen folgt. Mit ihrer Kollegin Zeynep Arslan ist Ayse Özkaraca für die Fächer Erdkunde und Geschichte zuständig.

"In den ersten Jahren hatten wir dafür wöchentlich sechs Stunden weniger Unterricht als andere Lehrer", erzählt sie. Doch das Material, das sie damals entwickelten, benutzt sie heute kaum noch: "Wir hatten ja anfangs keine Erfahrung mit dieser Art von Arbeit und Unterricht." Auch heute sitzt sie deshalb mit ihrer Kollegin oft nächtelang zusammen, um neues Unterrichtsmaterial auszuarbeiten. Die Stundenermäßigung dafür wurde mittlerweile auf zwei Stunden abgesenkt.

"Anspruchsvoller" sei ihr Unterrichtsmaterial heute, meint Ayse Özkaraca. Wie anspruchsvoll, zeigt sich an den Arbeitsblättern, die ihre Klasse vor dem Besuch im Ägyptischen Museum durchgenommen hat. Vokabeln wie Sozialstruktur (sosyal yapi) oder Götze (put) sind für die Kinder in beiden Sprachen neu. Mit Mumie (mumya) oder Pharao (firavun) tun sich die Fünftklässler da schon leichter.

Schulbücher haben die Europaschüler nur in Deutsch, Englisch und Mathematik. Die Arbeitsbögen für die türkischsprachigen Fächer müssen vor jeder Stunde kopiert und verteilt werden. Der aus der Türkei stammenden Pädagogin, die längst deutsche Staatsbürgerin ist, leuchtet deshalb nicht ein, dass sie auch an der Europaschule weniger als ihre deutschen KollegInnen verdient: "Ich arbeite wie jede normale Lehrerin: Ich leite eine Klasse, nehme an Gremien und Konferenzen teil, habe das Schulprogramm mit entwickelt, schreibe Protokolle und Berichte, mache Klassenreisen und Elternabende - nur für weniger Gehalt."

Mehr als tausend Euro netto macht der Unterschied zum Gehalt verbeamteter Lehrer aus, zu dem der Angestellten sind es immer noch 500 bis 600. Da im Ausland ausgebildete Lehrkräfte kein deutsches Staatsexamen haben, werden sie tariflich schlechter als die KollegInnen eingestuft, die in Deutschland studiert haben. Das soll sich nun ändern: Das Abgeordnetenhaus stimmt an diesem Donnerstag über die Angleichung der Gehälter ab (siehe Kasten).

Doch die Beamtenlaufbahn und damit der Aufstieg etwa in Schulleitungspositionen sind Lehrerinnen wie Ayse Özkaraca grundsätzlich versperrt. Dass nach mittlerweile fast 20 Berufsjahren - 16 davon in Deutschland - immer noch allein ihre Ausbildung für die Bewertung ihrer Arbeit zählt, macht Ayse Özkaraca wütend: "Die Ausbildung allein macht keinen guten Lehrer!" Doch noch mehr wurmt sie etwas anderes: "Was mich am meisten ärgert, ist, dass wir so wenig Anerkennung bekommen. Dabei können wir auch guten Unterricht machen."

Wie schlecht das Image insbesondere aus der Türkei stammender Lehrkräfte in Deutschland sei, habe die Reaktion auf Tayyip Erdogans Idee, türkische Lehrer nach Deutschland zu schicken, gezeigt: Der türkische Ministerpräsident hatte bei seinem Deutschlandbesuch im Februar vorgeschlagen, aus der Türkei stammende Lehrkräfte zur Verbesserung der Bildungserfolge von Kindern türkischer Herkunft an deutschen Schulen einzusetzen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte das als "schwierig" abgelehnt: Sie bevorzuge stattdessen den Einsatz von mehr Sozialpädagogen. "Niemand beschwert sich, wenn ein Türke hier Busfahrer wird", erklärt Ayse Özkaraca. "Aber wenn er als Lehrer arbeitet, schon." Natürlich gebe es "in einem Korb auch faule Äpfel". Doch die LehrerInnen an den Berliner Europaschulen leisteten "Pionierarbeit": "Bei uns wird Multikulti großgeschrieben!"

20 Kinder sind in Ayse Özkaracas fünfter Klasse, die sie, wie an den Europaschulen üblich, gemeinsam mit einer deutschen Kollegin leitet. Die SchülerInnen kommen aus türkischstämmigen oder binationalen Elternhäusern. Kinder, deren beide Eltern deutscher Herkunft sind, gibt es nicht. Viele Eltern leben von geringen Einkommen oder Sozialleistungen - deutsche und türkische. Aber es gibt auch Kinder aus ökonomisch gut situierten Familien in der Klasse. "Wir haben eine gute Mischung", sagt Ayse Özkaraca dazu. Trotzdem merkt auch sie: "Die Kinder bringen von Jahr zu Jahr weniger von zu Hause mit, türkische wie deutsche." Das Leben habe sich verändert, meint die Lehrerin: "Die Eltern müssen sich immer mehr um ihren Lebensunterhalt kümmern. Die Kinder kommen dadurch zu kurz."

Für die Fünfzigjährige, die nach der Scheidung von ihrem Mann ihre zwei mittlerweile studierenden Töchter allein großzog, ist das kein Grund, pessimistisch zu werden. Statt zu jammern, fordert sie von ihren SchülerInnen viel: "Natürlich bin ich streng! Wenn das bedeutet, Regeln zu setzen und diesen Regeln zu folgen, hinter seinem Wort zu stehen, dann bin ich sogar sehr streng."

Nach dem Besuch im Ägyptischen Museum zurück in der Schule malen ihre SchülerInnen Plakate für den nächsten Kuchenbasar: Es muss nämlich noch Geld in die Klassenkasse für die bevorstehende zweiwöchige Klassenreise in die Türkei. Die Kinder sind aufgeregt: Eine Woche werden sie bei Gastfamilien verbringen, um ihr Türkisch aufzubessern. In der zweiten Woche geht es dann ans Meer. Ihre Lehrerin Ayse fährt natürlich mit. Nicht wenige der SchülerInnen verabschieden sich bei Unterrichtsende mit einer Umarmung von ihrer Lehrerin. Die Verabschiedung läuft zweisprachig: "Tschüß, Ayse Ögretmenim!" "Tschüß, yavrum - mein Junges", sagt die.

* Etwa so auszusprechen: "Haddi tschodschuklar, ilk öndsche düschünün!"

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