Migration: Heimat gibt es in der Mehrzahl

Eine Ausstellung im Kreuzberg-Museum vergleicht die Erfahrungen deutscher Frauen, die in Istanbul leben, mit denen türkeistämmiger Berlinerinnen. Und erklärt dabei Integration.

Sevim Meral, 1941 in Adana geboren, lebt seit 1965 in Berlin. Bild: Kreuzberg-Museum/Miriam Reer (Berlin)

Magda Findikgil, 1930 in Gelsenkirchen geboren, lebt seit 58 Jahren in Istanbul. Bild: Kreuzberg-Museum/Erbil Balta (Istanbul)

Es ist keine Präsentation, die einen auf den ersten Blick in ihren Bann schlägt. Die Ausstellung über das Leben türkischer Berlinerinnen und deutscher Istanbulerinnen im Kreuzberg-Museum besteht aus nichts weiter als 24 Bild-und-Text-Tafeln, die frei im Raum hängen. Doch wer Geduld für die Geschichten mitbringt, die die Tafeln erzählen, der kann Einsichten in die Themenfelder Migration und Integration gewinnen, die weitab vom tumben Kampfgedröhn der aktuellen Debatte zu klügeren Erkenntnissen führen.

Die Ausstellung "Berlin - Istanbul. Erinnerungen an eine neue Heimat" ist bis zum 6. Februar, Mi. bis So. 12-18 Uhr. im Kreuzberg-Museum, Adalbertstr. 95a, zu sehen. Der Eintritt ist frei. Der Katalog kostet 10 Euro.

Etwa der, wie sehr das Sich-zuhause-fühlen-Können und -Wollen in einem zunächst unbekannten Land von ganz individuellen Erfahrungen und Voraussetzungen abhängt. Davon zum Beispiel, warum man sich zur Migration entschlossen hat, wie man dort, wo man hinkommt, empfangen wurde und welche Erwartungen die neue Umgebung an einen stellt.

Dabei sind sich die Geschichten der sieben deutschen und sieben türkischen Frauen auf den ersten Blick kaum ähnlich. Es sind die Türkinnen, die emanzipierter daherkommen. Denn sie, alle Migrantinnen aus der ersten GastarbeiterInnengeneration und überwiegend in den Vierzigerjahren geboren, entschieden sich mehrheitlich auch deshalb für die Migration nach Deutschland, weil sie damit einen Zugewinn von Freiheit erhofften: Freiheit von den engen Grenzen, die die Familie in der Türkei setzte, Freiheit von der belastenden Enge einer schlechten Ehe, die Chance auf eine Berufsausbildung oder ein Studium, die die Lebenssituation in der Heimat nicht zuließ. Die deutschen Frauen dagegen kamen überwiegend durch Heirat in die Türkei. Sie mussten ihre beruflichen Pläne - zunächst - oft aufgeben, denn die Arbeitsaufnahme ist für Ausländer in der Türkei streng reglementiert.

Doch trotz solcher Unterschiede erkennt man viele Übereinstimmungen. Zum Beispiel, wie wichtig beiden Gruppen von Migrantinnen - unabhängig von guten Beziehungen zu Einheimischen - der Kontakt zur eigenen Community, Religion, Sprachgruppe bleibt. Oder, wie die Frage der Staatsangehörigkeit vor der viel wichtigeren persönlichen Entscheidung für ein neues Zuhause zur Formalie wird: Sie erleichtert manches, aber nicht die Antwort auf die Frage, wo nun eigentlich Zuhause ist.

Es gibt kaum eine unter den Befragten, die dem Satz "Meine Heimat ist jetzt hier" nicht ein "aber" folgen ließe. Und vor ihren längerübergreifenden Biografien erscheint das Insistieren auf nur einen Pass (wie es in Deutschland gepflegt wird, die Türkei lässt die doppelte Staatsbürgerschaft zu) überholt. Umso erfrischender ist, wie selbstbewusst die Frauen auf ihr Leben, ihre Entscheidung zur Migration zurückblicken. Sie sei integriert, denn sie lasse sich nichts gefallen, sagt eine: Seit langem die beste Definition von Integration.

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