Interview mit Quartiersmanager: "Konsumgewohnheiten ändern sich"

Der Einzelhandel ist seit Anfang der 90er Jahre in der Krise und zieht viele Shoppingmeilen mit sich, sagt Quartiersmanager Thomas Helfen. Anders als die Turmstraße bildet die Neuköllner Karl-Marx-Straße weiter das Zentrum im Kiez.

So voll wie an Weihnachten würden es sich die Händler das ganze Jahr wünschen. Bild: reuters, Johannes Eiesele

taz: Herr Helfen, viele Berliner Einkaufsstraßen haben es schwer. Ob in der Turmstraße oder der Hauptstraße in Schöneberg - die Geschäfte laufen nicht gut. Was ist das Problem?

Thomas Helfen: Das Problem ist der Niedergang des Einzelhandels seit Anfang der 90er Jahre. Die Umsätze sind rückläufig, aber die Einkaufsfläche hat stark zugenommen. Parallel entwickelte sich der Internethandel. Hinzu kommt ein Generationswechsel: Viele Inhaber finden keinen Nachfolger, der bereit ist, von morgens bis abends im Laden zu stehen. Das alles hat dazu geführt, dass der Einzelhandel und mit ihm viele Geschäftsstraßen eine Krise erleben. Nicht nur in Problemstadtteilen wie Neukölln oder Moabit, sondern auch in Tegel oder Steglitz.

Sind auch die großen Einkaufszentren eine Ursache des Problems, weil man dort alles bekommt und nicht mehr auf die Straße muss?

Nein, vom Einkaufszentrum profitiert dessen Umfeld. Straßen, die kein großes Shoppingcenter haben, sind erst recht abgehängt.

Wie macht sich der Niedergang einer Geschäftsstraße bemerkbar?

Der Klassiker ist die Qualität der Sortimente. Man schaut, wie viele Angebote es im Niedrigpreissegment gibt, etwa 1-Euro-Läden.

Was ist daran schlecht?

Eigentlich nichts. Aber sie deuten auf eine Veränderung hin. Es geht den Kunden in dieser Gegend dann nur noch um den Preis, Hauptsache billig. Menschen, die Wert auf eine Fachberatung legen, die bereit sind, auch etwas mehr Geld auszugeben, halten sich in dieser Straße nicht mehr auf. Damit ist sie auch für viele Geschäftsleute nicht mehr attraktiv. Es entsteht eine Abwärtsspirale.

Ist der Leerstand ein Indiz für den Abstieg?

Eher nicht. Der Leerstand ist in Geschäftsstraßen oft gar nicht so stark, weil die Läden aus den Seitenstraßen in die Hauptstraße drängen. Erst in den Seitenstraßen sieht man dann viele leere Schaufenster.

In der Gegend um die Turmstraße fehlt die Kaufkraft, dann wurde auch noch Hertie geschlossen. Beides trifft auf die Karl-Marx-Straße in Neukölln ebenfalls zu. Trotzdem ist sie eine belebte Straße mit vielen Läden. Warum klappt es in Neukölln, aber nicht in Moabit?

Der größte Unterschied ist, dass die Karl-Marx-Straße für den nördlichen Bereich von Neukölln das Zentrum ist. Sie hat einen Einzugsbereich von etwa 160.000 Einwohnern. Es gibt zusätzliche Angebote wie Ärztehäuser, das Schwimmbad, Theater, Kino. Auch das Rathaus ist vor Ort. Das zieht zusätzlich Leute an. Und mit den Neukölln Arcaden gibt es ein Einkaufszentrum, das die Menschen in der Straße hält. So etwas hat die Turmstraße nicht. Der Einzugsbereich in Moabit ist viel kleiner. Die Straße leidet zudem darunter, dass der Kudamm als unmittelbarer Konkurrent nur zwei U-Bahn-Stationen entfernt liegt. Und wenn dann so ein Anker wie Hertie verloren geht, fragen die Leute: Was soll ich noch da?

Wie wirkt sich die soziale Mischung in einem Kiez auf das Geschäftsleben aus?

Inhaber von Fachgeschäften haben sich lange an einer deutschen Mittelschicht orientiert. Die ist aber aus vielen Gegenden weggezogen. Es sind Studierende und Migranten nachgekommen, die andere Einkaufsgewohnheiten haben. Bestimmte Geschäftskonzepte funktionieren ganz wunderbar, zum Beispiel arabische oder türkische Imbissketten. Andere Läden geben auf.

Hat es die Karl-Marx-Straße geschafft, die Veränderung der Neuköllner Bevölkerung mitzumachen?

Ich glaube, die Karl-Marx-Straße ist erst auf dem Weg dahin, sich den neuen Konsumgewohnheiten anzupassen. Auch sie ist auf eine Förderpolitik wie das Programm "Aktive Stadtzentren" angewiesen, um zu überleben.

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