Asylpolitik: Senat hat wieder Flüchtlinge auf Lager

Erstmals seit Jahren wird in Berlin ein neues Heim für Asylbewerber eröffnet. Eigentlich will der Senat Flüchtlinge in Wohnungen unterbringen. Doch die Zahl der Asylsuchenden steigt, und leere Wohnungen sind rar.

Demonstration während des Flüchtlingsschutz-Symposiums im Juni in Berlin Bild: dpa

Rot-Rot hat stillschweigend ein Reformprojekt aufgegeben: die Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnungen statt in Wohnheimen. Nach Angaben des Landesamtes für Gesundheit und Soziales konnten 2009 nur noch 44 Prozent der Asylbewerber nach Auszug aus der Erstaufnahmestelle in eine Wohnung ziehen - zwei Jahre zuvor waren es noch rund 70 Prozent. Mittlerweile muss über die Hälfte in Heimen untergebracht werden. Grund: Preiswerter Wohnraum wird knapp in Berlin. Und, so Silvia Kostner vom Landesamt: "In sozialen Brennpunkten sind Vermieter oft nicht mehr bereit, an unsere Klientel zu vermieten."

Letzte Woche eröffnete in der Otto-Rosenberg-Straße in Marzahn erstmals seit Jahren wieder ein neues Asylbewerberheim mit 100 Plätzen. In einem heruntergekommenen Plattenbau sind die Flüchtlinge gemeinsam mit deutschen Obdachlosen untergebracht. Da die Plätze dennoch nicht reichen, verhandelt das Landesamt für Gesundheit und Soziales mit weiteren Vermietern über die Eröffnung neuer Asylheime.

Als SPD und PDS 2001 erstmals eine gemeinsame Landesregierung bildeten, hatten sie schrittweise die Verträge mit Betreibern von menschenunfreundlichen Gemeinschaftsunterkünften auslaufen lassen. Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge durften fortan in Wohnungen ziehen. Damit setzte sich Rot-Rot gegen die zuvor mitregierende CDU durch. Die hatte den Standort Berlin mittels der Heimunterbringung möglichst unbeliebt machen wollen für Asylsuchende.

Übrig blieb die Erstaufnahmeeinrichtung an der Motardstraße in Spandau. Für die ersten drei Monate ist laut Bundesrecht eine Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften zwingend vorgeschrieben. Hinzu kamen einige kleine Heime, zum Beispiel für minderjährige Flüchtlinge oder für Leute, die lieber in Wohnheim leben wollen.

Doch die Situation hat sich verändert. Der Rückgang der Asylbewerberzahlen kehrte sich seit 2006 um. Im vergangenen Jahr kamen 3.896 neue Asylsuchende nach Berlin, 87 Prozent mehr als noch 2008. Vor allem Vietnamesen, Tschetschenen und Afghanen kommen verstärkt nach Berlin.

Auf der anderen Seite sinkt die Zahl freier Wohnungen. In Berlin stehen nur noch 3,6 Prozent der Wohnungen leer. "Während große Familien von Asylbewerbern immer noch passende Wohnungen finden, ist der Markt für preiswerte kleine Wohnungen zusammengebrochen", sagt Silvia Kostner vom Landesamt für Gesundheit und Soziales. Alleinstehende Menschen oder Kleinfamilien finden nichts mehr in der Preislage, für die das Sozialamt die Kosten übernimmt.

Statt in solche Wohnungen zu investieren, investiert das Landesamt lieber in neue Heime, und zwar an der Politik vorbei. Die Fachpolitiker der Regierungsfraktionen Ülker Radziwill (SPD) und Giyas Sayan (Linke) haben von der Eröffnung des neuen Heims aus der Zeitung erfahren. "Es bleibt dabei, dass Rot-Rot Asylbewerber vorrangig in Wohnungen unterbringen will. Wir müssen über die neue Situation beraten", sagt Radziwill. Und Sayan ergänzt: "Der Wohnungsmarkt ist schwierig. Aber ich werde mich mit den Sozialpolitikern meiner Fraktion an einen Tisch setzen und Lösungen suchen."

Die Grüne Canam Bayram kritisiert: "Es entsteht der Eindruck, dass in der Verwaltung mehr Rassisten wie Sarrazin sitzen, die verhindern, dass die Stadt beim Thema Migration weiterkommt." Die Oppositionspolitikerin fordert: "Der Senat muss Lösungen für die Unterbringung von Asylbewerbern in Wohnungen suchen." Sie verweist auf eine Studie der Landeskommission gegen Gewalt. "Die sagt aus, dass die Unterbringung in Lagern während der Kindheit zu Verrohung führen kann und die Gefahr besteht, dass dadurch neue sogenannte migrantische Serientäter entstehen. Wenn der Senat diese Erkenntnis hat, muss er alles tun, um zu verhindern, dass Kinder in Gemeinschaftsunterkünften aufwachsen."

Martina Mauer vom Flüchtlingsrat ergänzt: "Besonders kritikwürdig ist die gemeinsame Unterbringung von Asylbewerbern mit Obdachlosen, die häufig alkoholkrank sind. Das ist kein Umfeld, in dem Kinder und schwangere Frauen leben können." Sie hat auch gleich ein paar Vorschläge für die Landesregierung parat: "Sie soll Wohnberechtigungsscheine an Flüchtlinge ausstellen, so dass die auch in Sozialwohnungen eine Chance haben." Das Land müsse die Wohnungskautionen übernehmen, denn oft scheitern Mietverträge, weil Asylsuchenden dieses Geld fehlt. Zudem solle der Senat mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften über Kontingente verhandeln. "Wozu haben wir sonst die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften?", fragt Maurer.

Karin Rietz, Sprecherin von Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linke), will von einer Politikwende nichts wissen. Ziel sei nach wie vor die vorrangige Unterbringung von Asylbewerbern in Wohnungen. "Die veränderte Situation auf dem Wohnungsmarkt macht das schwieriger. Wir sind auf der Suche nach Lösungen", so Rietz.

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