Christopher Street Day: Späte Freude am Mahnmal

Am Vorabend des CSD hat Rudolf Brazda, der letzte schwule Überlebende des Nazi-Terrors, der im KZ den Rosa Winkel trug, noch einmal einen großen Auftritt. Der 95-Jährige wird von Wowereit hofiert.

Rudolf Brazda mit Klaus Wowereit am Mahnmal für verfolgte Homosexuelle Bild: AP

Am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen deutet eine Amerikanerin auf Rudolf Brazda, dem jemand eine Rose in die Hand gedrückt hat. "Is he a survivor?", fragt sie. Ist er ein Überlebender? "Ja, einer, der wegen Homosexualität verfolgt war", antwortet jemand. Dann deutet die Touristin auf Klaus Wowereit, der neben Brazda steht und ihn um Kopfeslänge überragt. Wer er ist, will sie wissen. "The mayor" - der Bürgermeister -, antwortet der Mann. "Is he gay too?" Dass er ebenfalls schwul ist, entlockt ihr ein anerkennendes Nicken.

Die Parade zum Christopher Street Day (CSD) zieht am Samstag zum 30. Mal durch die Stadt. Zehntausende Schwule und Lesben laufen von der Humboldt-Uni am Boulevard Unter den Linden (12.30 Uhr) über den Potsdamer Platz und die Potsdamer Straße zur Siegessäule, wo am Sonntag auch die Fußball-Fanmeile enden wird. Zum ersten Mal zieht die als Demonstrationszug angemeldete Parade nicht vom Westteil der Hauptstadt in den Osten, sondern in die umgekehrte Richtung. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) nimmt zum ersten Mal in seiner Amtszeit weder am Start der Parade teil, noch spricht er bei der Abschlussveranstaltung. Es gebe andere Termine, hieß es im Senat. Trotzdem werden rund 500.000 Zuschauer und Teilnehmer erwartet. Die Route des Transgenialen CSD startet in Neukölln am Hermannplatz um 14 Uhr. Unter dem Motto "Des Wahnsinns fette Beute" richtet sich der alternative Umzug gegen Vertreibung, Diskriminierung und Kommerz. Er endet mit einer Abschlusskundgebung am Heinrichplatz in Kreuzberg.

Brazda, ganz dünn, in fliederfarbenem Hemd und weißem Haar, hat lange mit Wowereit zusammen das Video der küssenden Männer im Homomahnmal betrachtet. "So waren wir", sagt der 95-Jährige. Dann posiert er für die Fotografen. Er weiß seinen Körper in Szene zu setzen mit einer Hüftdrehung und leicht geneigtem Kopf. Schließlich hat Brazda Bühnenerfahrung. In Tschechien war Ende der 30er Jahre mit Fahrenden umhergezogen. Er hat Josephine Baker gespielt.

Die Nazis hatten den in Sachsen Geborenen nach Tschechien ausgewiesen. Zuvor allerdings hatten sie ihn nach Paragraf 175, der Homosexualität unter Strafe stellte, ein halbes Jahr ins Zuchthaus gesteckt.

Nach der Annektierung des Sudentenlandes 1938 wird er jedoch wieder verhaftet. Und von 1941 bis zum Ende des Krieges wird er ins KZ Buchenwald gesteckt. Brazda muss den Rosa Winkel tragen.

Brazda ist ein Charmeur. Bis heute. Im KZ allerdings sollen sein Charme, seine Jugend, seine Schönheit ihm das Leben gerettet haben. Ein Kapo soll ihn geschützt haben. Er habe immer Glück gehabt. So zumindest hat er es Eva Brückner von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas erzählt. Sie durfte den alten Mann interviewen. Brazda - ein Zeitzeuge. Einer der allerletzten.

Als Brazda vor einem Monat im Fernsehen von der Einweihung des Homosexuellendenkmals erfuhr, hat er sich beim Verband der Schulen und Lesben (LSVD) gemeldet. Dort hatte man angenommen, dass kein KZ-Überlebender, der den Rosa Winkel tragen musste, noch lebte. Umso größer die Freude. Nun bekommt Brazda am Ende seines Lebens, das der gelernte Dachdecker nach 1945 mit seinem Freund zusammen irgendwo im Elsass verbrachte, noch einmal viel Aufmerksamkeit und Zuwendung. Sie tut ihm gut.

Denn was die Nazis mit ihrer Verschärfung des Paragrafen 175 begannen, das wurde in der Bundesrepublik fortgeführt. Die Kriminalisierung von Homosexualität galt weiterhin. Wie auf einer Podiumsdiskussion nach dem Mahnmalbesuch ausgeführt wird, wurden sogar mehr Schwule nach dem Krieg nach Paragraf 175 verurteilt als während der Nazizeit. Entschädigung erhielten die verfolgten Homosexuellen später nur in den allerseltensten Fällen. Erst seit 2002 sind Urteile nach Paragraf 175, die in der NS-Zeit gefällt wurden, aufgehoben. Die Urteile, die nach 1945 nach Paragraf 175 gefällt worden, jedoch noch nicht. "Da gibt es noch viel aufzuarbeiten", meint Günter Dworek vom LSVD.

Am Ende der Podiumsdiskussion wird Brazda gefragt, ob er noch reden wolle. Zaghaft setzt er sich ans Mikrofon. "Was soll ich sagen?", beginnt er irritiert. "Dass wir von der Natur so schrecklich verwandelt wurden von unserer Veranlagung", fährt er fort, "das ist in der Demokratie in Freiheit umgewandelt." Er macht eine Pause, als spüre er seinen Worten noch nach. "Anders als bei der Hitler-Bagage. Wenn ich denke, was ich hab durchmachen müssen in den Lagern" - er bricht ab, schiebt seine Hände auf dem Tisch hin und her. Für Sekunden hört man das schleifende Geräusch. "Früher, versteckt, versteckt hast du gelebt, die ganze Zeit", sagt er erregt. "Und ich finde, dass die Demokratie das Beste ist, was es gibt", setzt er den großen Punkt.

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