Neue Ermittlungen nach einem Jahr: Tod nach Pfeffersprayeinsatz

Staatsanwalt nimmt nach Beschwerde Ermittlungen gegen Polizisten wieder auf. Nach einem Einsatz war ein 32-Jähriger vor einem Jahr verstorben. Erste Ermittlungen waren schnell beendet worden.

Opfer eines Pfefferspray-Einsatzes. Bild: dpa

Der Fall war schon damals nebulös: Vor einem Jahr stirbt ein 32-Jähriger nach einem Polizeieinsatz - weil er gegen Pfefferspray allergisch war. Der Fall wird rasch eingestellt. Doch nun werden die Ermittlungen nach einer Beschwerde der Rechtsanwältin der Familie neu aufgerollt.

Es ist der frühe Morgen des 28. Februar 2010, als die Familie von Slieman H. die Polizei in ihre Wohnung in Schöneberg ruft. Der 32-Jährige ist aufgebracht, soll unter Kokain stehen. Er beschwert sich über laute Musik aus der Nachbarwohnung, schreit die Eltern an. Nach einem ersten Platzverweis kommt Slieman H. in die Wohnung zurück. Als die Polizisten ihn abführen wollen, wehrt er sich - spuckt und tritt um sich. Die Polizisten reagieren mit Schlagstöcken und Pfefferspray. Der 32-Jährige fällt eine Treppe hinunter, wird auf dem Boden gefesselt - und fällt in Ohnmacht. Trotz Wiederbelebung stirbt er wenig später im Krankenhaus.

"Todesursache war eine anaphylaktische Reaktion", sagt Staatsanwaltschaftssprecher Martin Steltner. Der 32-jährige habe unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln mit einem allergischen Schock auf das Pfefferspray reagiert. Die damaligen Ermittlungen gegen die Polizisten wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge wurden nach wenigen Wochen eingestellt: Die Schockreaktion von Slieman H. sei nicht vorhersehbar gewesen, ein Fehlverhalten der Beamten nicht zu erkennen.

Beate Böhler, Anwältin der Familie von Slieman H., kritisiert dies scharf. "Die Ermittlungen wurden eingestellt, bevor überhaupt alle Tatzeugen angehört wurden." Erst jetzt soll der Vater des Opfers befragt werden und eine Frau, die sich im Treppenhaus befand. "Dabei war bekannt, dass der Vater Körperverletzungen an seinem Sohn beobachtet hatte", so Böhler. Er habe Fußtritte von Polizisten gegen den am Boden Liegenden gesehen - obwohl dieser keinen Widerstand mehr geleistet habe.

Ermittelt wird nun wegen Körperverletzung im Amt. Die Todesumstände spielen vorerst keine Rolle. Böhler sieht dagegen "mindestens einen Anfangsverdacht", dass die Beamten auch für den Tod von H. verantwortlich sind. "Es ist aber leider gang und gäbe, dass Ermittlungen schnell eingestellt sind, wenn der Verdacht auf Polizisten lastet." Auch die Opferberatung Reach Out kritisiert den Fall. "Offensichtlich gab es keinen großen Aufklärungswillen", so Mitarbeiterin Helga Seyb. "Leider ist das symptomatisch." Nur etwa zwei Prozent aller Strafanzeigen gegen Polizisten führten zu Verhandlungen. Reach Out und Böhler fordern eine unabhängige Kommission bei Ermittlungen gegen Polizisten. "Andernfalls ermitteln Kollegen gegen Kollegen", so Seyb. Das wieder aufgenommene Verfahren im Fall Slieman H. sei ein Schritt in die richtige Richtung. Für dessen Familie bleibe der Fall aber eine Tragödie. "Sie hatten Hilfe erhofft, am Ende stand ein Todesfall."

Zuletzt erregte in Berlin der Fall Dennis J. Aufmerksamkeit. Der 26-jährige Neuköllner war 2008 von einem Polizisten erschossen worden. Der Beamte erhielt eine zweijährige Bewährungsstrafe. Angehörige kritisierten das milde Urteil. Auch gegen den Polizeieinsatz von Pfefferspray regt sich immer wieder Kritik. Wissenschaftler gehen davon aus, dass im Spray enthalten Wirkstoffe in Wechselwirkung mit Drogenkonsum lebensgefährlich sein können.

Am Samstag fordert eine Demonstration - Motto: "Gemeinsam gegen Polizeigewalt in Berlin und überall" - die "lückenlose Aufklärung" im Fall Slieman H. Der von Familienmitgliedern und Antifa-Gruppen organisierte Aufzug beginnt um 17 Uhr am U-Bahnhof Bülowstraße.

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