Kinderschutz-Projekt: "Übers Ziel hinausgeschossen"

Gerichtsvollzieher sollen Anhaltspunkte für Kindesmisshandlung melden. Der Landesdatenschutzbeauftragte Alexander Dix meldet große rechtliche Bedenken an.

Ist nicht einverstanden: Der Landesdatenschutzbeauftragte Alexander Dix. Bild: archiv

Das Projekt: Weil Gerichtsvollzieher Kontakt zu möglicherweise gefährdeten Kindern haben, soll die Kommunikation mit den Jugendämtern erleichtert werden. Dafür hat die Jugendverwaltung einen Handlungsleitfaden herausgegeben. Im Herbst soll es freiwillige Schulungen geben.

Der Meldebogen: Der am Dienstag vorgestellte Leitfaden enthält einen Meldebogen, in dem Gerichtsvollzieher neben Personendaten auch Angaben zum Zustand der Wohnung, zu Suchterkrankungen und Behinderungen in der Familie sowie zum Erscheinungsbild der Kinder erfassen können.

Die Kritik: Neben dem Datenschutzbeauftragten kritisiert die CDU das Projekt angesichts des Personalmangels in Jugendämtern als Geldverschwendung. Grüne und Kinderschutzbund befürworten die Zusammenarbeit.

taz: Herr Dix, die Senatsjugendverwaltung hat ein Projekt vorgestellt, bei dem Gerichtsvollzieher und Jugendämter in Sachen Kinderschutz zusammenarbeiten sollen. Sie kritisieren diesen Vorstoß. Warum?

Alexander Dix: Die Idee ist gut, aber der Handlungsleitfaden und der Meldebogen, den die Jugendverwaltung jetzt herausgegeben hat, schießen weit über das Ziel hinaus.

Inwiefern?

Im Meldebogen ist Platz für eine Vielzahl von Angaben: Etwa ob es Behinderungen in der Familie gibt oder Desinteresse am Schulbesuch. Die Gerichtsvollzieher sollen ankreuzen, ob ein Kind apathisch, ängstlich, übergewichtig oder nicht zweckmäßig gekleidet ist. Natürlich können das Anhaltspunkte für eine Kindesmisshandlung sein, aber das kann nur ein ausgebildeter Sozialarbeiter beurteilen.

Es soll doch aber Schulungen für interessierte Gerichtsvollzieher geben.

Gerichtsvollzieher sind keine Sozialarbeiter und werden weder durch eine kurze Schulung noch durch einen Meldebogen dazu qualifiziert. Sie sollen hier ihren Einblick in private Umfelder nutzen und quasi nebenbei, als Nebenprodukt einer Pfändung, Informationen über Familien sammeln. Das gehört aber dem Gesetz nach nicht zu ihrem Aufgabengebiet und ist datenschutzrechtlich höchst bedenklich.

Gilt da nicht der Grundsatz: Lieber eine Auffälligkeit zu viel gemeldet als eine zu wenig? Die Jugendämter müssen doch sowieso prüfen, was an dem Verdacht dran ist?

Das ist im Grundsatz richtig. Die Teilnahme der Gerichtsvollzieher am Meldeverfahren soll ja freiwillig sein. Aber auch ein freiwilliger Meldebogen, das zeigen alle Erfahrungen, verleitet dazu, ihn regelmäßig auszufüllen. Schließlich wird vonseiten der Jugendverwaltung die Angst vor dem strafrechtlichen Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung verbreitet. Wäre der Bogen einmal da, würde er zu einer Flut von Meldungen führen, die die Jugendämter bekanntermaßen personell gar nicht stemmen können.

Die Jugendverwaltung sagt, Mitarbeiter des Datenschutzbeauftragten seien in der Arbeitsgruppe für das Projekt mit dabei gewesen. Woher kommt dann jetzt die scharfe Kritik?

Wir sind in vielen Arbeitsgruppen vertreten. Aber bevor der Senat so ein Dokument in Umlauf bringt, hätte man es uns zur Prüfung vorlegen sollen. An der Erarbeitung des Meldebogens hatten wir keinen Anteil.

Also muss der Meldebogen aus Ihrer Sicht weg?

Er muss jedenfalls grundlegend überarbeitet werden.

Alexander Dix, 60, ist Jurist und seit 2005 Datenschutzbeauftragter des Landes.

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