Gewalt im U-Bahnhof Lichtenberg: Unbekannter verhinderte Eskalation

Polizei sucht nach dem Überfall auf zwei Handwerker im U-Bahnhof Lichtenberg nach einem Mann, der Hilfe leistete. Die vier jugendlichen Täter sitzen in U-Haft. Opfer liegt weiter im Koma.

Ein Täter links, ein Täter rechts, das Opfer mit der blauen Jacke in der Mitte: Szene aus dem Überwachungsvideo Bild: dpa

Auf dem Bahnsteig im U-Bahnhof Lichtenberg brennt eine Kerze. Daneben lehnt an einem Pfeiler eine rote Rose. Sie erinnern an den Angriff, bei dem am Freitag vier Jugendliche zwei 30-jährige Handwerker angegriffen und verletzt haben. Einen von ihnen so schwer, dass er im Koma liegt.

Die Täter sind am Dienstag festgenommen worden, eine Überwachungskamera der BVG hatte sie im Bild festgehalten. Der Film wurde von der Polizei für die Fahndung ins Internet gestellt, er ist inzwischen auf vielen Seiten abrufbar. Ein junger Mann, der am Donnerstagmittag aus der U-Bahn Richtung Hönow steigt, erklärt seinem Arbeitskollegen detailliert, wie der Überfall abgelaufen ist.

Das BVG-Video zeigt auch, dass mehrere Menschen auf dem Bahnsteig standen. Dass sich keiner eingemischt hat, versteht der junge Mann nicht. "Das ist unfassbar. Ich hätte sofort eingegriffen", sagt er. Sein Arbeitskollege kann die Angst der Augenzeugen nachvollziehen: "Ich hätte die Polizei gerufen. Bevor ich selbst angegriffen werde, halte ich mich lieber raus."

"Helfen Sie, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen", rät die Berliner Polizei und gibt folgende Tipps:

Alarmieren Sie sofort die Polizei. Der Notruf 110 ist kostenfrei.

Sprechen Sie andere Menschen direkt an: "Wir helfen jetzt gemeinsam."

Verlassen Sie gegebenenfalls mit dem Opfer den Ort.

Schreien Sie laut, das verunsichert Täter und erregt Aufmerksamkeit.

Rufen Sie aus sicherer Entfernung in Richtung Täter: "Ich habe die Polizei gerufen."

In öffentlichen Verkehrsmitteln: Ziehen Sie die Notbremse oder informieren Sie das Fahrpersonal.

Merken Sie sich das Aussehen des Täters.

Halten Sie flüchtende Täter nicht auf.

Greifen Sie den Täter nicht körperlich oder verbal an. (dapd)

Auch zwei Tage nach der Festnahme der drei 17-Jährigen und eines 14-Jährigen ist der Überfall noch nicht aufgeklärt. Möglich scheint, dass er noch viel schlimmer hätte ausgehen können. Die Polizei sucht händeringend nach weiteren Zeugen. Insbesondere nach einem Mann, der eines der beiden Opfer offenbar vor weiteren Übergriffen bewahrte. Laut Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft, hat der besagte Zeuge im Vorbeifahren von seinem Auto aus beobachtet, wie einer der beiden Handwerker aus dem Bahnhof geflüchtet sei und dabei von den Jugendlichen verfolgt wurde. Der Mann habe daraufhin eingegriffen und die Schläger mit "einer klaren Ansage" verjagt, so Steltner. "Der Mann muss eine imposante Figur sein."

Der andere Handwerker hatte nicht so viel Glück. Er wurde auf dem U-Bahnhof gegen 23.50 Uhr von den vier Jugendlichen scheinbar grundlos verprügelt. Selbst als er am Boden lag, trat einer der vier Täter noch auf ihn ein. Dann klaute er ihm das Handy. Anschließend verfolgten die Jugendlichen, die aus Kenia, Albanien, dem Kosovo und Irak stammen, den anderen Handwerker. Inzwischen sitzen die vier Täter in Untersuchungshaft, gegen sie wird wegen schwerer Körperverletzung und versuchten Raubmords ermittelt.

Der Gesundheitszustand des Mannes, der am Bahnhof bewusstlos geschlagen wurde, ist weiter kritisch, so Steltner. Er erlitt eine Gehirnblutung und liegt immer noch im Koma. Sein Kollege wurde schwer verletzt.

Petra Reetz, Sprecherin der BVG, zeigte sich "bestürzt" über den Vorfall - und darüber, dass offenbar keiner der Anwesenden eingeschritten sei. Jeder Bahnhof verfüge über zwei Notrufsäulen. Damit könne man, selbst wenn man kein Handy dabei habe, Hilfe holen, so Reetz. Sie bezweifelt, dass der Überfall mit Sicherheitspersonal auf dem Bahnsteig hätte verhindert werden können. "Das Video zeigt: Das ging sehr, sehr schnell", so Reetz. Insgesamt seien täglich rund 600 Mitarbeiter der BVG auf den Bahnsteigen unterwegs, darunter Sicherheitspersonal. Reetz betonte, dass der Bahnhof Lichtenberg nicht als gefährliche Ecke gelte.

Die jugendlichen Täter wurden überführt, weil einer der vier von einem Polizeibeamten einer Präventionsdienststelle erkannt wurde. Der 17-Jährige hatte vor einiger Zeit in der Lichtenberger "Schule am Rathaus" an einem Seminar für Gewaltprävention teilgenommen.

Auf dem Schulhof ist die Stimmung am Donnerstag angespannt. Die Schüler wurden von den Lehrern aufgefordert, nicht mit der Presse zu sprechen. Sonst habe es nach Aussage eines Achtklässlers keine Aufklärung gegeben. "Wir wissen gar nicht, was und warum es passiert ist. Wir wissen nur, dass wir nicht mit der Zeitung reden dürfen." Einige Schüler reagieren aggressiv auf die Presse. Ein Schüler ist wütend, dass seine Schule "in den Dreck gezogen wird". Eigentlich ginge es hier sehr friedlich zu. "Jetzt denken alle, wir wären brutal", sagt der Siebtklässler.

Unterdessen versuchen Neonazis den Lichtenberg-Überfall für sich zu nutzen. Die NPD will mit einer Mahnwache am heutigen Freitagabend am U-Bahnhof Lichtenberg gegen "kriminelle Ausländer" protestieren. Bereits am Mittwochabend waren 30 schwarz gekleidete Neonazis mit Leuchtfeuern durch die Lichtenberger Weitlingstraße gezogen. "Kriminelle Ausländer raus", forderte hier ein Transparent.

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