Konkurrenz für regionale Sorten: Zu viel Multikulti im Obstregal

Einst galt Werder als Obstkammer Berlins. Nun überfordern die riesige Nachfrage durch die Großstadt und die harte Konkurrenz auf dem Weltmarkt die Obstbauern in Brandenburg.

Diese Pflaumen sind garantiert regional - aus Brandenburg. Bild: dpa, Patrick Pleul

Die weite Reise sieht man ihm gar nicht an. Vom anderen Ende der Welt, aus Neuseeland, kommt dieser Apfel, und hat es doch ohne Schrammen und Dellen in das Obstregal eines Berliner Supermarktes geschafft. In der Kiste daneben liegen Äpfel aus Chile, und auch aus Südtirol sind zahlreiche Sorten bis nach Berlin gereist. Nur Äpfel aus Werder, seit fast 300 Jahren als Obstgarten Berlins bezeichnet, sucht man vergebens.

"In Brandenburg wachsen nicht ausreichend Äpfel, um die große Nachfrage aus Berlin zu stillen", sagt Petra Lack. Sie ist Geschäftsführerin der Werder Frucht Vermarktungsgesellschaft, die Obst und Gemüse aus Brandenburger Anbau zentral sammelt und vertreibt. Das Werdersche Seen-Klima sorge zwar dafür, dass die Äpfel besonders intensiv schmeckten, was auch die lange Tradition Werders als Anbaugebiet erklärte, erklärt Lack. "Die Böden sind jedoch von so schlechter Qualität, dass die Bäume einfach nicht ertragreich genug sind."

Laut Bundeslandwirtschaftsministerium essen die Deutschen im Durchschnitt etwa 34 Kilo Äpfel pro Jahr. Darin eingerechnet sind auch weiterverarbeitete Produkte wie Apfelmus oder Saft. In ganz Brandenburg werden pro Jahr aber nur 35.000 Tonnen geerntet, was etwa 30 Prozent des Bedarfs der Berliner entspricht. "Wir haben zwar in den letzten Jahren bemerkt, dass mit der Nachfrage nach Bioprodukten auch die Rückbesinnung auf lokale Erzeuger einherging", sagt Lack. Das Angebot habe sich jedoch nicht vergrößert.

Neben den sandigen Böden ist laut Lack die Europäische Union dafür verantwortlich, dass Brandenburg sich bereit kurz nach der Wende von seiner Rolle als Obstlieferant der Großstadt verabschiedet habe. "Damals haben viele Bauern ihre Obstbäume abgeholzt, um Prämien für Flächenstilllegungen zu kassieren", sagt sie. Zudem seien die Vertriebswege so kompliziert und die Konkurrenz auf dem Weltmarkt so groß, dass es sich finanziell kaum noch lohne, Obst anzubauen.

Ähnlich argumentiert Jürgen Deutscher. Seit 20 Jahren hat er in Werder seinen Obsthof, auf dem neben Äpfeln vor allem Erdbeeren und Kirschen wachsen. "Die Preise sind in den letzten Jahren zwar stabil geblieben, aber die Kosten steigen", sagt er. Bereits zu Beginn der 1990er Jahre habe er seinen Betrieb modernisiert, und als einer der ersten seine Bäume im Spalier gepflanzt. "5.000 Bäumen passen so auf einen Hektar. Aber auch das reicht nicht, um kostendeckend zu produzieren." Wer Deutschers Obst essen möchte, muss darum schon als Selbstpflücker auf seinen Hof kommen oder an seinen Stand, den er regelmäßig auf verschiedenen Wochenmärkten im Norden von Berlin aufbaut. "Noch zählen wir zu den mittleren Erzeugern", meint Deutscher. Aber sein Betrieb schrumpfe. "Es lohnt sich einfach nicht."

Mit den riesigen Apfelplantagen etwa in Südtirol, wo derzeit ein Großteil der Äpfel in Berliner Supermärkten herkommt, können die Brandenburger Betriebe nicht mithalten. Dafür sind ihre Anbauflächen zu klein und die Bodenqualität zu schlecht. Daher haben sie den Kampf vor Jahren aufgegeben und sich in Nischen zurückgezogen - zu einem Zeitpunkt, in dem sich die Menschen zunehmend Gedanken darum machen, wo ihr Essen eigentlich herkommt, und Obst aus dem Umland immer gefragter wird.

"Wir bemühen uns, unser Obst und Gemüse von Bauern aus der Region zu beziehen", erzählt etwa Sophia Haagen, Sprecherin des Bio-Supermarktes Viv. Daher habe man vor drei Jahren auch die "Fair-Regional-Charta Berlin-Brandenburg" unterzeichnet, mit der sich Biobauern, -hersteller und -fachmärkte dazu verpflichteten, gemeinsam für eine lokale Versorgung zu sorgen. "Wir achten bei unserer Warenauswahl durchaus auf kurze Transportwege."

Dennoch finden sich in einer der Filialen der Biomarkt-Kette Braeburn-Äpfel, die bereits eine Weltreise aus Neuseeland hinter sich haben. "Die Produkte, die es in Brandenburg nicht in ausreichender Menge oder gar nicht gibt, versuchen wir erst deutschlandweit, und dann auf dem internationalen Markt einzukaufen", erklärt Haagen. Sorten wie etwa der beliebte Braeburn-Apfel würden in Deutschland erst spät geerntet. "Da importieren wir zur Not auch mal aus Neuseeland."

Gleiches hört man auch, konventionell angebaute Äpfel betreffend, aus der Presseabteilung der Rewe-Group, die in Berlin neben Rewe- auch Penny-Supermärkte betreibt. Die Nachfrage nach regionalen Produkte steige, da sie für Frische und die immer wichtiger werdende Stärkung regionaler Erzeuger stehe, meint Sprecherin Stephanie Maier. "Die Produktion regionaler Lebensmittel, zum Beispiel bei Äpfeln, reicht aber nicht aus, um unseren Mengenbedarf zu decken."

Der Obstanbau in Werder geht auf Friedrich Wilhelm I zurück. Er ließ Anfang des 18. Jahrhunderts die ersten Obstbäume pflanzen. Während der Industrialisierung mauserte sich das Gebiet zum Hauptlieferanten Berlins für frisches Obst und Gemüse. Doch nun ist die Stadt zu groß geworden für seine Obstkammer. Und zu anspruchsvoll. Denn auch wenn man sich zurückbesinnt auf die Vorteile regionaler Produkte - auf die Tatsache, dass diese nur saisonal verfügbar sind, mögen sich die wenigsten einlassen.

"Andere Anbaugebiete sind einfach früher dran als wir", erklärt Andreas Jende, Geschäftsführer des Landesverbandes Gartenbau Brandenburg. Damit würden sie zu attraktiveren Vertragspartnern für Supermärkte. Bevor die Äpfel in Werder reif seien, seien die Lieferverträge mit anderen Gebieten schon unterzeichnet. "Wenn wie in diesem Jahr nach dem Frühjahrsfrost und dem feuchten Sommer die Erträge besonders bescheiden sind, landen Äpfel aus Werder vor allem im Hofverkauf oder zur Weiterverarbeitung in der Saftfabrik."

Trotz guten Willens kommen die Brandenburger Bauern und die Berliner Supermärkte also einfach nicht zusammen. Die Nachfrage nach großen Mengen billiger Äpfel über das ganze Jahr hin ist einfach zu viel für die Landwirte. Dabei sieht es laut Jende beim Obst sogar noch gut aus. "Dort gibt es immerhin noch funktionierende Absatzstrukturen. Beim Gemüse ist das schon seit Jahren nicht mehr der Fall."

So gelangt kaum eine frische Gurke aus dem Spreewald in die Hauptstadt - nur eingelegt hat sie eine Chance. Ähnlich sieht es mit Möhren und Kartoffeln aus, die ebenfalls in Brandenburg angebaut werden, aber fast komplett in die industrielle Weiterverarbeitung wandern. "Nach der Wende hat man den Anschluss verpasst, andere Anbaugebiete haben sich Zulieferstrukturen aufgebaut", sagt Jende. "Einmal verlorenes Terrain gewinnt man nur schwer zurück."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.