Montagsinterview mit Typograf Erik Spiekermann: "Berlin ist ein dickbäuchiger Typ in meinem Alter"

Ohne Erik Spiekermann sähe Berlin anders aus. Die Busse wären nicht gelb, das Berlin-Logo kein Brandenburger Tor aus blau-roten Balken. Er sagt: Berlin braucht weniger Kampagnen und mehr Wegeleitsystem.

"Es gibt kein Wegeleitsystem für Touristen, sondern nur diese grotesk hässlichen blauen Schilder, die Unsinn wie "Synagoge: 1.350 Meter" verzapfen." Bild: Detlev Schilke

taz: Herr Spiekermann, Sie haben in den 90er Jahren das BVG-Leitsystem entwickelt und dadurch das Gesicht der Stadt entscheidend geprägt. Jetzt werden Sie zu Stadtmarketing-Podien als Experte eingeladen, über die "starke Marke Berlin" zu sprechen. Haben Sie die Marke Berlin mit erfunden?

Der Mann aus dem Jahrgang 1947 wurde in Stadthagen bei Hannover geboren. Nach dem unvollendeten Studium der Kunstgeschichte in Berlin zog er mit Frau und Kind nach London, wo er als Berater für große Designunternehmen arbeitete. Dort entstanden seine ersten Schriftentwürfe.

Zurück in Berlin, gründete er 1979 die Agentur MetaDesign. Zusammen mit seiner Frau rief er 1989 FontShop ins Leben, den ersten Versand für Computerschriften. Mit MetaDesign Berlin entwarf der Typograf ein Fahrgastinformationssystem für die BVG und das Erscheinungsbild der Stadt Berlin. Seitdem sind alle Busse und Bahnen in der Stadt gelb und ist der BVG-Plan verständlich. 2000 verließ Spiekermann MetaDesign.

In der Branche wird der Typograf für die Erfindung von schnörkellosen Schriften wie ff Meta und itc Officina verehrt. Spiekermann, der unter anderem das Erscheinungsbild des Magazins The Economist modernisierte, betreibt die Agentur Edenspiekermann und lehrt an der HfK Bremen.

Für sein Lebenswerk erhielt er 2010 den Designpreis der Bundesrepublik. Anfang 2011 wurde er mit einer Ausstellung im Berliner Bauhaus-Archiv geehrt.

Erik Spiekermann: Das war nicht der Auftrag, als wir 1990 den Zuschlag für ein Fahrgastleitsystem bekamen. Die historische Leistung, die mir und meiner Agentur damals zufiel, bestand darin, die beiden Stadthälften zusammenzubringen. Westberlin war ja auf der DDR-Landkarte weiß wie der Obere Nil vor Livingstone. Und wir Westberliner hatten den Osten als grau unterlegte Zone, wo man nur durchfahren konnte, aber nicht aussteigen. Dann fiel die Mauer, und plötzlich sollte das eine Stadt sein. Ich lebte seit 1964 im Westen, im Osten kannte ich mich aber gar nicht aus. Das Erste, was wir machten, war, Karten für Busfahrer zu entwickeln. Die Linien, die bis dahin an der Mauer endeten, sollten in den Ostteil verlängert werden. Die Busfahrer brauchten Karten, die sie sich aufs Lenkrad legten, um zu wissen, dass die nächste Haltestelle Otto-Grotewohl-Straße hieß.

Stimmt es eigentlich, dass Berlin Ihnen die gelben BVG-Straßenbahnen und Busse zu verdanken hat?

Ja, und das rechne ich mir durchaus als Verdienst an. Vorher waren die Busse im Westen beige, die U-Bahnen orange-gelb. Im Osten waren die U-Bahnen zitronig-creme, die Straßenbahnen orangig-creme. Lauter Beamtenfarben - furchtbar. Trotzdem nannte die B.Z., die ja immer vermeintlich volkstümliche Ausdrücke wie "Schwangere Auster" oder "Langer Lulatsch" erfand, die Bahn immer "die große Gelbe". Also überredete ich den damaligen BVG-Chef, alles knatschgelb zu lackieren. Inzwischen sind ja die gelben Doppeldecker stadtprägend wie in New York die gelben Taxis oder in London die roten Busse.

Sie prägten auch das offizielle Logo der Stadt: ein stilisiertes Brandenburger Tor, das den Internetauftritt der Berliner Verwaltung schmückt. Das blau-rote Tor wirkt, mit Verlaub, ja etwas piefig …

Zu meiner Entschuldigung muss ich sagen, dass dieses Signet in den 90ern für die Berliner Verwaltung entwickelt wurde - für den Behördenschriftverkehr und nicht fürs Publikum. Man suchte einen zeitgemäßen Ersatz für den Bären mit Mauerkrone, der bis dahin auf den Briefbögen der Stadt stand. Es gab einen Senatswettbewerb, den wir zwar nicht gewonnen hatten, aber der Sieger hatte ein Lindenblatt vorgeschlagen, das dummerweise die Stadt Lindau schon hatte. Also kamen wir zum Zug. Uns war klar: Da muss das Brandenburger Tor drauf. Denn je weiter man von Berlin weggeht, desto bekannter ist es.

Ist der Fernsehturm nicht das Berlinsymbol schlechthin?

Das kommt einem nur so vor, wenn man in der Stadt lebt. Außerhalb kennt man den Fernsehturm nicht als Berliner Wahrzeichen, schließlich gibt es davon viele auf der Welt, die alle gleich aussehen. Aber das Brandenburger Tor ist einzigartig - auch als Symbol: an der Nahtstelle zwischen Ost und West. Die Quadriga, die nicht erobert, sondern von außen zurückkommt. Zur Sicherheit arbeiteten wir noch das Wort "Berlin" ein. Heute würde Berlin auch allein funktionieren, es ist in allen Sprachen der Welt unverwechselbar. Unser Entwurf wurde leider auch für die Werbung benutzt. Dafür ist das Tor zu steif, woraus sich dann diese dusselige Imagekampagne entwickelte …

Meinen Sie die Stadtmarketingkampagne "Be Berlin", die der Senat 2008 ins Leben gerufen hatte?

Eine Katastrophe ist das! Der Slogan ist alt - ich sage nur: Be Birmingham, I Amsterdam, I Love New York. Und dann haben sie neben den Slogan auch noch mein Brandenburger-Tor-Logo gepappt. Das Ding hat zu viele Mitteilungen: Be Brandenburger Tor Berlin. Mein Bruder, der kein Englisch kann, sondern Spanisch, fragte mich, was das soll: Be Berlin. Weiß man eben auch nicht sofort.

Es gibt die Kampagne Be Berlin, die Agentur Visit Berlin, dann noch Unterkampagnen wie die Freundlichkeitsoffensive der BVG - hat Berlin zu viele Tourismuskampagnen?

Natürlich. Berlin traut sich nicht, als ein Absender zu sprechen. Wenn ich Psychologe wäre, würde ich sagen: Da fehlt das Selbstvertrauen, wenn man sich zweimal nennen muss. Überhaupt passt so eine Kampagne nicht zu Berlin: Kommunikation wird durch Inhalte bestimmt. Aber wenn man nur gute Stimmung angesichts schlechter Nachrichten verbreiten will, dann kommt das nicht an.

In Kreuzberg tauchen im Straßenbild vermehrt Aufkleber mit einem durchgestrichenen Herzen auf: "Berlin doesnt love you" ist die Botschaft der Anwohner an die Touristen, durch die sie ihre Lebensqualität bedroht sehen. Was halten Sie davon?

Ich finde das fremdenfeindlich. Es ist zwar verständlich, dass es die Kreuzberger empört, wenn die Mieten steigen, weil die Dänen oder Holländer kommen, aber müsste man dann nicht auch sagen: Wir schmeißen die ganzen Schwaben raus? Wo fängt das an und wo hört das auf, wenn man sich gegen bestimmte Gruppen wendet? Wer ist denn Kreuzberger? Die seit den 70er Jahren hier sind? Nur geborene Berliner? Die eingewanderten Türken? Wenn man das zu Ende denkt, ist das eine dörfliche Haltung. Wie im Kleingarten, wo man einen Zaun hat und die Hecken oben abschneidet, damit nichts drüberwächst.

Aber dahinter steckt etwas Ernstes: die Sorge, dass die Freiräume für die viel beschworene Berliner Lebensart schwinden. Zerstört die Ausrichtung auf Touristen unsere Stadt?

Es ist zwar schade, wenn die Stadtmitte zur Touristenmeile wird, aber letztendlich völlig normal. Als reine Kreativstadt wäre Berlin schon längst so pleite, dass hier kein Müll mehr abgeholt würde und die BVG nicht mehr führe. Tourismus ist nun mal die Haupteinnahmequelle, so wie das in London und Paris auch ist. Was die Besucherzahlen betrifft, rangiert Berlin bereits knapp hinter Paris. Das ist eine gute und eine schlechte Nachricht. Das Berliner Biotop ist natürlich im Eimer. Aber ohne Geld von außen wäre die Stadt schon vor zehn Jahren pleite gewesen.

Wo wohnen Sie selbst?

In Mitte. Natürlich gehen mir auch die Gruppen auf die Nerven, die Bürgersteige verstopfen und auf den Fahrradweg springen. Aber gäbe es Fabrikschlote, dann würden wir uns über den Qualm beschweren. Oder Dampframmen, dann würden wir über Lärm klagen. Ich verstehe nicht, was sich manche Leute vorstellen: Wir nehmen uns die Freiräume, besetzen Ruinen, wir leben - ja wovon eigentlich? Von welchem Mehrwert, den wir produzieren? Die Leute, die so was sagen, haben ihr "Kapital" nicht gelesen. Darin steht auch: Von nix kommt nix. Mir sind Touristen immer noch lieber als Kohlebergwerke oder Hütten. Da muss man nur mal in den 60ern in Dortmund gewesen sein, um zu wissen, wie das ist. Die Familie meines Vaters lebte da, ich war oft zu Besuch. Mein Vater war übrigens Lastwagenfahrer, ich habe das auch eine Zeit lang gemacht. Ich weiß, was Arbeit ist. Ich habe eigentlich immer gearbeitet.

Jetzt klingen Sie aber sehr konservativ. Kamen Sie nicht auch mal als Wehrdienstflüchtling nach Berlin?

Sicher, aber nicht, um mich hier auszuruhen. Ich habe studiert und nebenher gearbeitet. Diese linken Sozialromantiker aus den Kiezen ärgern mich. Leute, die sagen: Lieben wollen wir die Touristen nicht, auch mit dem Staat wollen wir nichts zu tun haben, wir wollen nur die Knete - das finde ich total kleinkariert. Genauso kleinkariert finde ich aber auch, dass der Senat denkt, er könne die Leute mit einer Werbekampagne motivieren. Dass Berlin eine coole Location ist, muss Visit Berlin eher in Singapur, New York oder Tokio vermitteln.

Muss man das wirklich noch irgendwem erzählen?

Es geht ja nicht um die Einzeltouristen, sondern um Gruppen. Wer in Berlin eine Messe besuchen will oder eine Tagung abhalten will, braucht konkrete Anlaufstellen und Informationen. Wenn VW hier seine Jahreshauptversammlung macht, ärgert das vielleicht manche für drei Tage, bringt aber viel Geld.

Über die Geschäftsleute regt sich ja keiner auf - es sind die Partytouristen, die zum Feiern herkommen und in billigen Hostels schlafen, die Ärger machen. Weil die Hostels oder Ferienwohnungen meist mitten in Wohnquartieren liegen.

Das ist ein Auswuchs, dem die Bezirke gegensteuern müssen. Natürlich ist es untragbar, wenn man nicht mehr schlafen kann, weil gegenüber 100 Betrunkene grölen. Aber ein gewisses Maß an Tourismus müssen wir in der Innenstadt einfach tolerieren. Wir haben ja sonst nix: Der Großteil der berühmten Kreativen in der Stadt lebt von grenzenloser Selbstausbeutung, von Tagessätzen, mit denen man in anderen Städten nicht überleben könnte. Auftraggeber nutzen diese Niedriglohnsituation aus. Das ist fatal, es macht die Preise in der Branche kaputt. Wir sind zur digitalen Proletenwerkbank für Großkonzerne geworden, die mit ihrer Zentrale lieber in Düsseldorf bleiben.

Immerhin haben Sie diese Branche in Berlin mit aufgebaut: Sie gründeten die Agentur MetaDesign, ihre jetzige Agentur Edenspiekermann vermittelt Kommunikationskonzepte - wenn auch nicht gerade zu Dumpingpreisen.

Schon. Aber ich hoffe, dass es irgendwann wieder die berühmte Berliner Mischung gibt, schließlich gibt es noch Reste einer Handwerkskultur, die ich im Kreuzberg der 60er Jahre noch erlebte: Vorne wohnt der Chef, hinten arbeiten die Leute in kleinen Betrieben. Später wandelte die alternative Szene manche davon in Kollektive um. Ich betrieb während des Studiums selbst eine kleine Druckerei im Keller eines Mietshauses. Allerdings nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil ich früh Familie hatte und Geld verdienen musste. Am Drucken ist ja nichts romantisch. Immer dreckige Fingernägel und krummer Rücken. Als meine Druckerei 1977 abbrannte, war es das dann auch.

Sie scheinen darunter zu leiden, nur noch virtuelle Dinge zu produzieren.

Das Ärmelhochschieben und Kittelanziehen fehlt mir tatsächlich manchmal. Heutzutage bedeutet Arbeit ja, Pixel herumzuschieben. Zu Hause habe ich deshalb noch eine kleine Druckmaschine, nur für mich allein. Was mir aber nicht fehlt, ist Schichtdienst. Oder der Dienstleister für andere zu sein. Ich war während des Studiums in der Spontiszene unterwegs. Ich war der Typ, der Papier besorgen und drucken konnte. Meine Aufgabe war es, die Flugblätter zu drucken, die dann morgens um 6 Uhr vor den Werkstoren von Siemens verteilt werden sollten, zur Agitation der Werktätigen. Als ich um eins schweißgebadet mit den fertigen Blättern kam, saßen die Genossen noch beim Bier und forderten, das Flugblatt noch mal zu ändern. Ich habe dabei gelernt, dass der Besitz der Produktionsmittel mir einen Vorteil verschafft gegenüber den Theoretikern.

Als Corporate-Identity-Designer für die Deutsche Bahn haben Sie sich in der linken Szene wohl nicht viele Freunde gemacht.

Wissen Sie was: Ich bin jetzt über 60, das schert mich kein bisschen. Ich bin ein Systemgewinnler, weil ich für Marken arbeite. Von meinem Sohn muss ich mir das oft genug anhören. Aber ich finde es nicht ehrenrührig, für die BVG oder die Bahn zu arbeiten. Meine Argumentation meinem Sohn gegenüber ist, dass ich mit meiner Arbeit zwar das System nicht verändere, aber zumindest eine repressionsarme Umgebung herstelle. Alle werden ordentlich bezahlt, es gibt keine Stechuhr, wir stellen jede Menge junge Frauen ein, obwohl sie schwanger werden. Weil sich das so gehört.

Für den neuen Flughafen BBI braucht man wieder ein Informationsleitsystem. Haben Sie sich auch dafür beworben?

Ja, aber wir wurden unterboten von einer Firma, die kurz nach dem Gewinn der Ausschreibung die Preise hochsetzte. Sehr schade. Schließlich fühle ich mich für Berlin auch ästhetisch verantwortlich.

Wo sehen Sie Nachbesserungsbedarf in der Stadt?

Es gibt kein Wegeleitsystem für Touristen, sondern nur diese grotesk hässlichen blauen Schilder, die Unsinn wie "Synagoge: 1.350 Meter" verzapfen. Das müsste man mal ordentlich machen, mit schöner Schrift, logisch gerichteten Pfeilen. Und einem vernünftigen Logo, damit man weiß, wer da spricht.

Wie wäre es mit einem neuen Berlin-Maskottchen statt des ewigen Bären?

Ja, so ein schöner Kackhaufen, da weiß man gleich, wo man sich befindet! Im Ernst: Berlin ist weder das Brandenburger Tor noch ein Bärchen. Am ehesten ist es ein dickbäuchiger Typ in meinem Alter, der mit einem eng anliegenden T-Shirt rumläuft. Offiziell macht man einen auf jung, aber das ist von der Verwaltung bestellt. Nur eins ist hier sicher: Man weiß nicht, wie es in zehn Jahren sein wird. Vielleicht sind die schönen Zeiten vorbei, und Berlin wird eine normale Stadt mit steigenden Mieten, steigenden Löhnen, eine Stadt ohne Dreck, ohne Lücken, ohne Zufall. Dann bin ich wahrscheinlich weg. Aber solange diese Stadt im Wandel bleibt, sollte man die Botschaft offenhalten und sagen: "Berlin". Oder "Brandenburger Tor". Und fertig. Dass das nicht Bad Oeynhausen ist, verstehen die Leute dann schon.

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